Rolandsäulen – mittelalterliche Freiheitsstatuen?
Hruodlandus, Markgraf der Bretagne, fiel 778 im ersten Feldzugs Karls des Großen (reg. 768–814) in Spanien. So berichtet es Einhard in der Vita Caroli Magni aus dem 9. Jahrhundert. Die Basken überfielen die sich im Rückzug befindenden Franken in der Schlacht von Roncevalles. Die reale historische Figur hat allerdings wenig mit dem Helden zu tun, der im 11. Jahrhundert in der französischen Heldendichtung „Chanson de Roland“ von Turold („Rolandslied des Pfaffen Konrad“ um 1170) besungen wurde und dessen Abbilder viele mittelalterliche Städte zieren.
Rolandssäulen finden sich in deutschen Städten, aber auch in Prag, Riga und Dubrovnik. Wie das Magdeburger Recht sind sie ein europäisches Phänomen. Sie entstanden seit dem 14. bis ins 17. Jahrhundert. Als Hauptverbreitungsgebiet ist mit 15 der ehemaligen Rolande die frühere Mark Brandenburg und das Erzbistum Magdeburg nachweisbar. Rolandplastiken wurden häufig auf Marktplätzen, an Sakralbauten oder an Rathäusern aufgestellt und waren in das städtische Leben integriert.
Abb. 1: Holzschnitt von Magdeburg aus der Schedel’schen Weltchronik mit der Darstellung einer Rolandfigur, Blatt 179v/180r, 1493.
Die Bedeutung der Kolossalfiguren steht jeweils im Zusammenhang mit der Stadtgeschichte und Entstehungszeit. Rolande galten als Zeichen – teils nur beanspruchter – Reichsunmittelbarkeit, besonderer Freiheiten, höchster Gerichtsbarkeit oder von Handelsvorrechten. Sie standen aber auch für das einer Stadt verliehene Stadt- oder Kaiserrecht und deren Autonomie, die Herrschaft des Rates und der freien Bürgergemeinde sowie sinnbildlich für den Stadtfrieden. Häufig diente die Aufstellung als Symbol der Machtstellung des Rates und der Schöffenkammer gegenüber dem Erzbischof oder Landesherren. Diametral stellten aber auch Landesherren Rolandssäulen als Zeichen der von ihnen vergebenen Privilegien oder zur Legitimation ihrer Herrschaft auf.
Neben dem ikonographischen Vorbild aus Frankreich wurden die Rolande wohl auch im Zuge des wiederauflebenden Karlskultes unter Friedrich I. Barbarossa (reg. 1152–1190) und Karl IV. (reg. 1346–1378) aufgestellt, die einen Anspruch auf dessen Nachfolge erhoben. Unter Karl IV. gab es eine anwachsende Gesetzgebung, etwa durch die Schaffung der Goldenen Bulle. Im 14. Jahrhundert wurde der Gedanke vom Sachsenspiegel als Kaiserrecht verbreitet, im Raum der Mark Brandenburg durch den Juristen Johann von Buch († um 1356) und seine älteste Glosse des Sachsenspiegels.
Vielen Rolanddarstellungen ist eine gemeinsame Symbolik zu eigen. Das Schwert des Rolands steht für weltliche Gerichtsbarkeit und dauernden Schutz, weshalb es meist ohne Scheide dargestellt wird. Der Legende nach bekam Karl der Große das Schwert „Durendal“ von Gott und gab es Roland. In seinem Knauf sollen sich Reliquien befunden haben. Schmuckelemente wie Rose und Engel nehmen Bezug auf den Märtyrercharakter Rolands. Einige Darstellungen enthalten Narren, etwa in Magdeburg, Gardelegen oder Stendal. Die Nähe des Geburtsortes von Till Eulenspiegel († 1350) in Kneitlingen am Elm und die Erscheinung des Volksbuches 1483 legen einen Bedeutungszusammenhang nahe.
In vielen Städten kreisen Legenden und Märchen um die Figuren, etwa „Wie der Stendaler Roland sich dreht“ und auch Rolandfeste werden in den Orten begangen. Im Mittelalter wurden Rolandspiele abgehalten. Durch ihren Symbolcharakter gerieten die Figuren aber auch in den Mittelpunkt von Aufständen und Unruhen. In der jüngeren Vergangenheit wurden Rolandfiguren politisch missbraucht, etwa als Symbol der Untertanentreue im Kaiserreich oder unter den Nationalsozialisten.
„[D]ieser Roland […] hatt […] die Stedte dieser lande mit den gerichten vnd freiheiten […] beliehen […]. deshalb sein ihme solch bildnissen vnd Statuae […] gesetzt worden, als ein zeichen keiserlicher freiheit“[1], berichtet der Magdeburger Pfarrer Johannes Pomarius († 1588) in seiner Chronik. Das Bild der mittelalterlichen Freiheitsstatue erscheint, von diesem Bericht ausgehend, zutreffend.
Im Folgenden werden einige Rolandsäulen aus der heutigen Altmark sowie Magdeburg näher vorgestellt.
Der Roland in Stendal wird 1525 zum ersten Mal erwähnt. Hier befindet er sich an einer erhaltenen Gerichtslaube, in der im Mittelalter Gerichtsverhandlungen abgehalten wurden. 1164 erhielt der Marktort völlige Zollfreiheit von Albrecht dem Bären († 1170), 1170 das Magdeburger Recht. Der insgesamt 7,80m messende Koloss aus Elbsandstein trägt mit 4,39m das längste Schwert aller Rolande. Zudem befinden sich an der Säule das Stadtwappen und mehrere Narrendarstellungen.
In Buch bei Tangermünde, dem Geburtsort Johanns von Buch, wurde der Roland um 1580 aufgestellt. Er ist ein gutes Beispiel für den angestrebten Rechtsstatus und dafür, dass die Figuren jeweils der Mode der Zeit unterlagen: Er erhielt bei einer Ausbesserung im 17. Jahrhundert eine Allongeperücke. Der Ort besaß neben Handelsprivilegien ein ausgeprägtes lokales Brauchtum. Zu Pfingsten findet heute noch die Rolandkrönung statt.
Der 2002 neu errichtete Roland in Gardelegen stand in der ursprünglichen Holzfassung schon 1450. Die Stadt war seit dem 14. Jahrhundert Mitglied der Hanse. Handels- und Zollprivilegien besaß Gardelegen durch das 1290 verliehene Magdeburger Recht und das von einem askanischen Markgrafen stammende Privileg auf die Erhebung von Salz-, Damm- und Brückenzoll.
„To Meideborch up dem markede dar steit ein isern man“[2]. Auch Magdeburg besaß ab 1419 einen Roland, wie es in der Schöffenchronik erwähnt wird. Dieser wurde bei Rechtsstreitigkeiten vom Rat sogar als Schwurzeuge städtischer Rechte aufgeführt. In Anlehnung an die mittelalterliche Tradition wurde im Jahr 2005 wieder eine Rolandfigur aufgestellt.
Egal ob aus Stein oder Holz, bemalt, zu Fuß, zu Pferd, gekrönt, auf Brunnen oder an Prangern – Rolande hinterlassen einen bleibenden Eindruck. Die Vielfalt ihrer Gestaltung und die sie umrankenden Geschichten faszinieren bis heute.
Autorin: Alessa Hamel
Anmerkungen:
[1] Johannes Pomarius: Chronica der Sachsen und Nidersachsen. MDLXXXIX, Dößel 2007, S. 458.
[2] Magdeburger Trutzlied (1550/1551). Niederdeutsches Volkslied anlässlich der Belagerung Magdeburgs durch Kurfürst Moritz von Sachsen († 1553). Alte hoch- und niederdeutsche Volkslieder; 1 hg. Ludwig Uhland, Stuttgart 1844, S. 556.
Literatur:
Alte hoch- und niederdeutsche Volkslieder; Bd. 1, hg. von Ludwig Uhland, Stuttgart 1844.
Heiner Lück: Spuren des Rechts. In der Heimat Eikes von Repgow, in: Kulturreisen in Sachsen-Anhalt (10), hg. v. Christian Antz, Wettin 2010.
Dietlinde Munzel-Everling: Rolande: die europäischen Rolanddarstellungen und Rolandfiguren, Dößel 2005.
Dieter Pötschke: Vryheit do ik ju openbar…: Rolande und Stadtgeschichte (=Harz-Forschungen; Bd. 23), Berlin u. Wernigerode 2007.
Rudolf Simek: Roland (in der Überlieferung), in: Lexikon des Mittelalters, VII. Planudes bis Stadt (Rus‘), Stuttgart 1999, S. 952–957.
Nikolai Stefanov Popov: Das magische Dreieck: Rolandfiguren im europäischen Raum; Bremen – Riga – Dubrovnik, Oschersleben 1993.
Johannes Pomarius: Chronica der Sachsen und Nidersachsen. MDLXXXIX, Dößel 2007.
Zitation:
Alessa Hamel: (altmärkischer) Roland. Rolandsäulen – mittelalterliche Freiheitsstatuen?, in: Das Magdeburger Recht. Baustein des modernen Europa, 09.10.2023, https://magdeburg-law.com/de/magdeburger-recht/glossar/altmaerkischer-roland/
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Abb. 1: Wikimedia Commons (public domain)