Ein brandenburgisches oppidum mit anschaulicher Rechtsgeschichte:
Die Geschichte des rund 30 km nordöstlich von Berlin gelegenen Werneuchen kennzeichnet eine typische Entwicklung innerhalb der spätmittelalterlichen Kleinstadtperiode. 1300 wird die Siedlung oppidum genannt, als dem Marien- und Johannesaltar in der Pfarrkirche zu Eberswalde Einnahmen aus dem Hufenzins Werneuchens zugewiesen werden.[1] Das Städtchen befand sich zu dieser Zeit im Besitz des Markgrafen Albrecht von Brandenburg, der es als oppdi nostri Warnow bezeichnete. Wie innerhalb der brandenburgischen Stadtgeschichtsforschung vermutet worden ist, verband sich mit der Gründung Werneuchens die Absicht ihrer Entwicklung zur vollständigen Stadt im Rechtssinne.[2] Tatsächlich blieb Werneuchen auf einen kleinstädtischen Charakter beschränkt und erscheint in verschiedenen Quellen des 14. Jahrhunderts immer wieder als oppidum.
Abb. 1: Rathaus von Werneuchen. Im Jahr 1865 wurde Werneuchen erneut zur Stadt erhoben, nachdem die städtische Entwicklung in der Frühen Neuzeit stark zurückgedrängt worden war.
Wirtschaftlich profitierte Werneuchen von seiner günstigen Lage an sich kreuzenden Straßen, die nach Pommern, Schlesien und Mecklenburg führten.[3] Eine urkundlich belegte Zollstelle zeugt von einem beträchtlichen Verkehr. Hierbei verdient eine zwischen Werneuchen und dem benachbarten Strausberg geschlossene Vereinbarung aus dem Jahr 1315 Beachtung. Beide Städte einigten sich darin über eine gemeinschaftliche Zollerhebung.[4] In diesem Zusammenhang werden neben Strausbergern auch acht Ratsherren aus Werneuchen namentlich genannt, womit eine Ratsverfassung für den Ort nachgewiesen ist. Vermutlich orientierte man sich in Werneuchen an den Gewohnheiten des Brandenburger bzw. des mit ihm eng verwandten Strausberger Stadtrechts, dessen Ursprünge im Magdeburger Recht liegen. Immerhin dürften die Ratsherren der größeren Stadt Strausberg für Werneuchen wichtige Unterstützer gewesen sein und in bürgerlichen wie rechtlichen Belangen geholfen haben. In dem genannten Zollabkommen wird Werneuchen gleichrangig zu Strausberg als civitas, also Stadt, bezeichnet. Obgleich es zwischen beiden Orten große Unterschiede hinsichtlich der städtischen Entwicklung gab, bezeugt diese Begrifflichkeit Werneuchens Anspruch, Stadt sein zu wollen.
Die rechtliche Entwicklung Werneuchens führte jedoch in eine andere Richtung. Das Landbuch der Mark Brandenburg aus dem Jahr 1375 zeigt auf, dass Werneuchen inzwischen vom Markgrafen als Lehn an die Schenken von Sydow gegeben worden war. Letztere hatten Werneuchen an die bürgerliche Familie Trebus weiterverlehnt, die nun auch die niedere und hohe Gerichtsbarkeit als Lehn besaß.[5] Auf dieser Basis war eine Weiterentwicklung zur Stadt nicht möglich. Werneuchen blieb somit bis in die Frühneuzeit hinein ein Städtchen bzw. ein Flecken, dessen ratsherrliche Verfassung allerdings erhalten blieb. So werden noch 1646 zwei Bürgermeister und sechs Ratsherren erwähnt.[6]
Gerichtliche Entscheidungen innerhalb Werneuchens blieben jedoch von der Herrschaft abhängig, wie ein interessanter Fall aus dem 16. Jahrhundert belegt. So war im Jahr 1557 ein Krüger namens Curt Mönchehoff vor dem Stadtgericht Werneuchen erschienen. Das Stadtgericht gehörte inzwischen der im Barnim ansässigen, mächtigen Familie von Krummensee. Dort klagte Mönchehoff, dass ihm zahlreiche Pferde und weiteres Vieh aus unerklärlichen Gründen umgekommen seien. Er vermochte allerdings niemandem etwas zur Last zu legen, und so blieb ihm nur die Möglichkeit zu behaupten, er habe die Tiere von bösen Leuten gekauft.
Abb. 2: Nachgezeichnetes Wappen der Familie von Krummensee. Das im Barnim reich begüterte Geschlecht besaß im 16. und 17. Jh. das Stadtgericht von Werneuchen.
Kurze Zeit später geschah etwas Ungeheuerliches: Ein Fremder, „an henden und fussen lam“, kam kriechend in die Stadt und beschuldigte öffentlich die Nachbarin des Krügers, namens Brederekin. Diese habe, zusammen mit ihren Töchtern und anderen Frauen, die Tiere vergiftet. Vor Gericht beteuerte der „Krüppel“, er könne mit seinem Kristall und einem Zauber dafür sorgen, dass Frau Brederekin und die anderen beschuldigten Frauen, an einem von ihm bestimmten Tag, nur mit einem Hemd bekleidet zum Gericht eilen und in Eierschalen das genannte Gift mit sich führen würden. Die Gerichtsherren Albrecht und Wilhelm von Krummensee auf Altlandsberg entsprachen seinem Vorschlag und baten den alten Mann seine Zauberkunst vor dem Gericht auszuüben. Als sie allerdings „lang darauf gewartet, ist nichts draus worden“ und die beschuldigten Frauen erschienen nicht vor Gericht. Der „verkrüppelte“ Mann indes erklärte daraufhin, ihm sei der Kristall von der beschuldigten Frau Brederekin entwendet worden, infolgedessen er seine Kunst nicht ausüben könne. Die Familie Brederekin ihrerseits plädierte vor den Gerichtsherren dafür, den Mann gefangen zu nehmen und ihn verhören zu lassen.
Von den mysteriösen Vorfällen in Zweifel getrieben, sahen die beiden Brüder Krummensee von einem Verhör vorerst ab und fragten zunächst bei den Schöffen der Stadt Brandenburg um Rat in dieser Angelegenheit. Die Brandenburger Schöffen ließen keine Zweifel aufkommen, dass es sich bei den in Werneuchen zugetragen Ereignissen um Zauberei handele. Ihre Antwort lautete: weil „er [der Mann] mit der christall umbgegangen […], soll er wegen seiner geubten teuflischen kunst […] mit dem feure vom leben zum tode verrichtet werden.“ Die denunzierte Nachbarin des Werneuchener Krügers wurde einstweilen freigesprochen.[7]
Der in Werneuchen verhandelte Fall offenbart sehr anschauliche Einblicke in die Sichtweisen der Menschen des 16. Jahrhunderts. Für einen Werneuchener Stadtbürger, der von den Ereignissen um die toten Tiere des Curt Mönchehoff gewusst oder gar der öffentlichen Bekanntmachung des „Verkrüppelten“ beigewohnt hat, müssen die Geschehnisse überaus bedeutsam gewesen sein. Aus dem Gottesdienst, aus der christlichen Heilsgeschichte heraus und nicht zuletzt von den farbenprächtigen Bildern in den Kirchen kannte er Wunder, Zauberei und den bösen, immer wieder spitzfindigen Teufel, der die Menschen in Versuchung führt. Zahlreiche Volkssagen berichteten darüber hinaus von den Taten mysteriöser Hexer und ruchloser Zauberer.
Vor allem in Notsituationen und Krisenzeiten mussten Erklärungen gefunden werden, die nicht selten im Numinosen mündeten. Wie sonst, wenn nicht mit dem Teufel, musste es zugehen, wenn plötzlich eine Reihe von Tieren aus heiterem Himmel starb. Solche Erklärungsweisen spielten innerhalb des Rechtslebens eine wichtige Bedeutung. Dies belegt das Antwortschreiben des Brandenburger Schöffenstuhls, welches von teuflischer Kunst spricht und dessen Inhalt wohl jedem Werneuchener Bürger durch Ausrufen bekannt gemacht wurde.
Abb. 3: Darstellung des Teufels mit dem Höllenschlund, Holzschnitt, Augsburg 1473. Der die Menschen in Versuchung führende Teufel war ein häufig auch vor Gericht herangezogenes Erklärungsmuster in Strafprozessen.
Die tatsächlichen Hintergründe der Vorfälle in Werneuchen können kaum rekonstruiert werden. Welche Motive der „Verkrüppelte“ verfolgte, ob und in wie weit er mit dem Krüger Curt Mönchehoff zusammenarbeitete, muss der Spekulation überlassen bleiben.
Aus den Schilderungen werden gleichsam die besonderen gerichtlichen Verhältnisse in Werneuchen deutlich, die nicht vom Rat des Städtchens, sondern von adligen Gerichtsherren bestimmt worden sind. Die rechtlichen Gewohnheiten des Brandenburger Schöffenstuhls boten dabei eine wichtige Richtschnur, die den vor Ort getroffenen Entscheidungen Legitimation verlieh.
Autor: Sascha Bütow
Anmerkungen:
[1] Adolf Friedrich Riedel (Hg.): Codex Diplomaticus Brandenburgensis, Reihe A, Bd. 12, Berlin 1857, Nr. 3, S. 284f.
[2] Vgl. Felix Escher u. Wolfgang Ribbe: Städtische Siedlungen im Mittelalter (= Historischer Handatlas von Berlin und Brandenburg, Nachträge 3), Berlin,New York 1980, S. 9f.
[3] Werner Vogel: Werneuchen, in: Handbuch der historischen Stätten Deutschlands, Bd. 10: Berlin und Brandenburg, hg. v. Gerd Heinrich, Stuttgart 19953, S. 388.
[4] Wie Anm. 1, Nr. 3, S. 68f.
[5] Ernst Fidicin: Die Territorien der Mark Brandenburg, Teil 2, Berlin 1885, S. 258.
[6] Wie Anm. 3, S. 388.
[7] Adolf Stölzel: Urkundliches Material aus den Brandenburger Schöppenstuhlsakten, Bd. 1, Berlin 1901, S. 332.
Zitation:
Sascha Bütow: Werneuchen. Ein brandenburgisches oppidum mit anschaulicher Rechtsgeschichte, in: Das Magdeburger Recht. Baustein des modernen Europa, 08.12.2021, https://magdeburg-law.com/de/magdeburger-recht/historische-staedte/werneuchen/
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