Stadtrecht (allgemein)

Das mittelalterliche Stadtrecht umfasst die in einer Stadt gültigen Rechtssätze, die in der Regel aus einer Ansammlung von extern verliehenen Privilegien und intern festgelegten Normen bestand. Die Existenz und Gültigkeit eines spezifischen, sich vom Umland unterscheidenden Rechtes gilt als eines der wichtigsten Merkmale einer mittelalterlichen Stadt. Die Verleihung eines Stadtrechtes erfolgte zwangsläufig bei der geplanten und systematischen Neugründung einer Stadt, war aber auch Höhepunkt und Abschluss allmählicher Stadtwerdungsprozesse bereits existierender Siedlungen.

Das mittelalterliche Stadtrecht im Sinne eines Normenkomplexes für einen abgesonderten Rechtsraum ist ein Phänomen, dass in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts greifbar wird, beginnend mit der Gründung Freiburgs im Breisgau 1120. Die älteren Städte im deutschsprachigen Raum kannten ein derartiges Stadtrecht noch nicht. Die Genese des Stadtrechtes war zunächst geprägt vom Kampf gegen die landesherrlichen Obrigkeiten und der Durchsetzung der städtischen Autonomie. Im Mittelpunkt eines jeden Stadtrechtes standen im Allgemeinen die persönlichen Freiheiten der Bürger und ihr freies Recht auf Grundbesitz und Erbrecht sowie die Kontrolle und Wahrung dieser Rechte durch eine eigene, städtische Rechtsgemeinde, die sich von der allgemeinen Gerichtsverfassung des Umlandes abhob und von den jeweiligen grundherrlichen Gerichten weitgehende Unabhängigkeit anstrebte. Dies war zudem eine wesentliche Voraussetzung für die wirtschaftliche Entwicklung der Städte und die fortschreitende Ausdifferenzierung der mittelalterlichen Gesellschaft.

Über Inhalte und Formen des Stadtrechtes geben verschiedenartige schriftliche Quellen Aufschluss. Zu den ältesten zählen sogenannte Privilegien wie jene von Erzbischof Wichmann im Jahr 1188 für Magdeburg ausgestellte Urkunde oder das 1156 von Kaiser Friedrich I. für Augsburg ausgestellte Privileg. Mit Beginn des 13. Jahrhunderts nimmt die Anzahl der Stadtgründungen erheblich zu. Oft wurde nun das Recht einer älteren Stadt mehr oder minder vollständig von anderen Städten rezipiert. Das vermutlich erste Stadtrecht, das übernommen wurde, war das Stadtrecht von Soest. Später wurden vor allem die Stadtrechte von Magdeburg und Lübeck aufgenommen. Die Rezeption eines Stadtrechtes führte zur Entstehung von stadtrechtlichen Verbindungen, was unausweislich zum Austausch zwischen den Städten und gleichsam zur schriftlichen Fixierung der Stadtrechte führte. Viele Tochterstädte haben ihre jeweilige Mutterstadt auch nach der Gründung fortlaufend um juristische Hilfe bei der Urteilsfindung einzelner Prozesse wie auch bei grundlegenden Fragen gebeten. Derartige Anfragen wurden an den Schöffenstuhl in Magdeburg gerichtet. So entwickelte sich in nicht wenigen Fällen eine regelmäßige Kommunikation zwischen den Städten. Nicht zuletzt daraus resultierte eine zunehmende Anzahl eigener Rechtsaufzeichnungen der Bürger, die neben jene älteren Privilegien traten.

Ihren Ursprung hatten die Stadtrechte in der Regel im geltenden Gewohnheitsrecht des Umlandes beziehungsweise des vor Ort einst angesiedelten Stammes. Die weitere Entwicklung und Ausdifferenzierung der städtischen Gesellschaft und vor allem die Bedürfnisse der teils fernreisenden Kaufleute machten besondere juristische Regelungen notwendig, die sich zunehmend vom Landrecht unterschieden und letztendlich zum Stadtrecht führten. Im Laufe der Zeit traten neben die erwähnten freiheitlichen Privilegien auch zunehmend eigene städtische Rechtsetzungen, die sogenannten Willküren.

Das Stadtrecht war in seinem Kern ein Marktrecht, das mit Zoll- und Handelsprivilegien verbunden war. Ausgeweitet wurde das Stadtrecht auf das Befestigungsrecht und die autonome städtische Rats- und Gerichtsverfassung. Für Letztere ist die hervorgehobene Stellung als rechtliche Gemeinschaft freier Leute mit einem eigenen, zum Teil selbst gewählten Richter samt Schöffenkollegium grundlegend. Kennzeichnend ist auch das Aufkommen eines Rates als ausführendes und rechtssetzendes Organ der Stadtgemeinde. Obwohl es heute kein Stadtrecht mehr im ursprünglichen Sinne gibt, hat das mittelalterliche Stadtrecht auf vielen Gebieten Neuerungen gebracht, die später in die allgemeine staatliche Gesetzgebung einflossen, wie beispielsweise das Handelsrecht, das Arbeitsrecht, das Straf- und Prozessrecht. Von weitreichender Bedeutung sind zudem die Rationalisierung und Verschriftlichung des Rechtsdenkens, welche mit der Entwicklung der Stadtrechte einhergingen.

 

Literatur:

Gerhard Dilcher: Art. „Stadtrecht“, in: HRG Bd. 4. 1990, Sp. 1863 ff.

Karl Kroeschell: Art. „Stadtrecht, Stadtrechtsfamilien“, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 8, München 2003, Sp. 24 ff.