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Bischofsmacht und Bürgerwille: Wittstock und das Stendaler Recht

Am 13. September 1248 verlieh der Havelberger Bischof Heinrich (amt. 1244/45–1271/72) seiner Stadt Wittstock all diejenigen Rechte, die die Bürger Stendals genossen. Diese Entscheidung traf er jedoch keineswegs allein, sondern unter Beratung von Vertretern seiner Havelberger Kirche. Nicht zuletzt dürften die Wittstocker Bürger selbst gegenüber dem Bischof als Stadtherrn den Wunsch zur Übernahme des Stendaler Rechts geäußert haben. Darauf lässt eine Anordnung innerhalb der Urkunde schließen, wonach im Unterschied zu Stendal in Wittstock auf die Anwendung der erblichen Regelungen zum Heergewärte und zur Gerade verzichtet werden sollte.[1] Stattdessen war eine Halbteilung des Erbes vorgesehen, die in der Folgezeit mit näheren Spezifikationen mehrfach bestätigt wurde.[2] Im Rahmen einer solchen Konfirmation wurde 1374 beispielsweise auf das in Wittstock geltende Prinzip der Teilung nach familiären Stämmen verwiesen, das von der abgelehnten Teilung nach Köpfen unterschieden wurde.[3] Zudem wurde die Regelung des Schoßfallrechts für ungültig erklärt. Das hieß also, dass Vorfahren wie Großeltern und Eltern vom Erbe ausgeschlossen waren, wenn ein kinderloser Erblasser vor ihnen starb. Damit wurde offensichtlich beabsichtigt, die Anteile der Enkelgenerationen an den familiären Hinterlassenschaften nicht zu schmälern. Die damit nicht berücksichtigten Familienteile wurden hingegen durch das genannte Halbteilungsrecht bedacht.[4] Eine solche Veränderung im Erbrecht war mit großer Sicherheit auf einen Einfluss der Bürgergemeinde im Rahmen der konkrete Ausgestaltung des Stendaler Rechts in Wittstock zurückgegangen. Der stadtrechtliche Transfer erscheint somit als ein von mehreren Parteien getragener Prozess, wie in der jüngeren Forschung bekräftig wird.[5]

Abb.1: 1275 wird erstmals ein Rathaus in Wittstock erwähnt. Das heutige Gebäude wurde 1905/1906 im neugotischen Stil umgebaut. Ältere ins 15. Jahrhundert zurückreichende Bauteile wie Gerichtslaube, Kellergewölbe und Nordgiebel bleiben dabei erhalten.

1270 verlegte der Havelberger Bischof seine Residenz nach Wittstock und war hier oft auf der stadtnahen Burg ansässig.[6] Trotz dieser starken Präsenz des Stadtherrn gelang dem Wittstocker Rat ein steter Ausbau seiner rechtlichen Autonomie. So vermochte es die Bürgerschaft zum Beispiel 1275 den Markt mit seinen Bauten von Bischof Heinrich II. käuflich zu erwerben. In diesem Zusammenhang kommt auch das Rathaus (theatrum) zur Sprache, das im Deutschen als „Krambude“ („Crambode“) bezeichnet wurde. Damit wird deutlich, dass der zentrale politische Versammlungsort der Stadt zugleich als Kaufhaus genutzt worden ist. Mit dem Verkauf bestätigte Bischof Heinrich den Wittstocker Bürgern erneut das Stendaler Recht.[7] Im Gegenzug war die Bürgerschaft  zur Zahlung der so genannten Urbede verpflichtet, die jährlich an den Bischof entrichtet werden musste und 100 Gulden umfasste.[8] Daneben flossen dem bischöflichen Amt seitens der Bürgerschaft nur geringe Steuern für die Nutzung von Hausstätten und Wiesen zu.

Im Verlauf des 13. Jahrhunderts schritt der Ausbau der Stadt voran, wozu nicht zuletzt der Havelberger Bischof beitrug. Er verhandelte zum Beispiel 1277 mit dem brandenburgischen Markgrafen Albrecht III. (um 1250–1300) um die Siedlung Babitz und das gleichnamige Sumpfgebiet als Besitz der Stadt Wittstock.[9] In einer darüber ausgefertigten Urkunde werden Gehölz, Äcker, Weiden und Wiesen als Nutzflächen erwähnt, womit der Wittstocker Bürgerschaft ein beachtlicher Ausgriff auf das Umland gelungen war.

Wie für mittelalterliche Räte typisch, nahm auch derjenige in Wittstock für sich in Anspruch, über alle Angelegenheiten der Stadt zu entscheiden und im Konfliktfall zu richten. Dies traf insbesondere für die in der Stadt ansässigen Gewerke, Zünfte und Gilden zu. Bereits 1275 hatte Bischof Heinrich II. (amt. 1271/72–1290) der Bürgerschaft das Innungsrecht bestätigt.[10] Der Wittstocker Rat nahm auf dieser Grundlage das Recht wahr, Gilden einzurichten, ihre Gewohnheiten zu bestimmen und im Falle innerer Streitigkeiten als Richter aufzutreten.

Abb. 2: Ansicht der Stadt Wittstock Mitte des 19. Jahrhunderts, Stahlstich nach einer Zeichnung von Julius Gottheil. Wie im Mittelalter war das urbane Umland auch zu dieser Zeit noch stark agrarisch geprägt.

Sich mit diesem Recht innerhalb der Bürgerschaft durchzusetzen, war für den Wittstocker Rat keineswegs selbstverständlich. Denn wie er 1373 gegenüber den Schöffen von Stendal mitteilte, gebe es in Wittstock Personen, die nach eigenen Gutdünken in gildeartigen Verhältnissen arbeiteten ohne „vulbort“ (Zustimmung) der Ratsherren. Zudem werde dessen Kompetenz als Streitschlichter in den Gilden hinterfragt und richterliche Entscheidungen auf anderen Wegen gesucht. Die Wittstocker Ratsherren wollten sich dem nicht fügen und baten die Stendaler Schöffen 1373 um ein Rechtsurteil in Sachen des Gilderechts. Letztere entsprachen dem Wittstocker Rat, wenn dieser, wie mitgeteilt, alle seine Gilderechte mit Urkunden beweisen könne. Damit hatte der Wittstocker Rat die offenbar beabsichtigte äußere Legitimation erhalten, um sie in weiteren innerstädtischen Verhandlungen um das Gilderecht ins argumentative Feld zu führen. Mögliche Gegenpositionen konnten sich jedoch auf die Tatsache berufen, dass der Wittstocker Rat sein Gilderecht vom Havelberger Bischof als Stadtherrn erhalten hatte. Hiermit erschien es möglich, bei diesem um die Gründung von Gilden oder Streitschlichtungen der Gewerke nachzusuchen. Es war vor diesem Hintergrund für die Ratsherren ein Erfolg, als Bischof Busso von Havelberg (amt. 1487–1493) ihnen 1488 das Gilderecht bestätigte. Dem Wortlaut der Urkunde nach sollten die Ratsherren „de Gilde vnd werke bi sick hebben vnd holden“.[11] Dieser Fingerzeig auf ein wichtiges Stück kommunaler Selbstverwaltung umfasste die Macht, Gilden einzurichten, ihnen Statuten zu verleihen, deren Meister zu ernennen und Streitigkeiten beizulegen. Nach Entscheidung der Ratsherren konnten diese Aufgaben auch an Dritte weitergereicht werden.

Für das ratsherrliche Selbstverständnis war allerdings noch wesentlich bedeutsamer, dass Bischof Busso alle Entscheidungen in Sachen der Wittstocker Gilden an den dortigen Rat überwies und dabei untersagte, sich mit diesen rechtlichen Anliegen an irgendjemand anderen wie etwa ihn oder seinen Amtsleuten in der Havelberger Kirche zu wenden. Diese in der Vergangenheit scheinbar des Öfteren vorkommende Praxis sollte abgeschafft werden, da sie städtischen Gewohnheiten widersprach.

Abb. 3: Der Dom zu Havelberg. Hier lag das Machtzentrum des Bischofs, der zugleich Stadtherr von Wittstock war.

Das Verhältnis des Rates zum Stadtherrn blieb jedoch nicht gänzlich ungetrübt. Mit Bischof Wedigo (amt. 1460–1487) stritt die Stadt Wittstock beispielsweise um das Mühlenrecht. Die Bürgerschaft hatte zuvor die s.g. Rossmühle errichtet und damit nach Ansicht des Bischofs seine hoheitlichen Rechte beeinträchtigt. Er entzog der Stadt die Mühlenrechte, worauf sich der rechtliche Konflikt in einen offenen Aufruhr niederschlug. Dieser nahm ein derart großes Ausmaß an, dass Markgraf Johann (1455–1499) als Schlichter eingeschaltet wurde. Bischof Busso galt als sein „frunt“, was in der markgräflichen Schlichtungsurkunde durchgehend Erwähnung findet.[12] Der gefundene Konsens fiel dementsprechend nachteilig für die Stadt Wittstock aus und enthielt bedeutende Einschränkung der kommunalen Freiheit vor. So wurden nicht nur alle Mühlen in und um Wittstock zum Besitz des Bischofs als obersten Herrn erklärt, sondern auch seine Rechte in Bezug auf die Stadt erweitert. Denn er und das Domkapitel bekamen das Recht zugesprochen, den jährlich wechselnden Rat zu bestätigen. Damit einhergehend mussten Bürgermeister und Ratsherren einen fest formulierten Schwur leisten, der die Treue gegenüber der Havelberger Kirche untermauern sollte. Zudem enthielt er die Erklärung, auf die Bildung von Parteien innerhalb der Stadt zu verzichten. Wie für die Zeit des 15. Jahrhunderts durchaus typisch, schränkte hier ein zunächst enger rechtlicher Konflikt durch Einschreiten des Landesherrn wichtige Kompetenzen des städtischen Rates ein.[13] So gesehen, hatte sich der Bürgerwille der Bischofsmacht zu beugen.

Autor: Sascha Bütow

Anmerkungen:

[1] Riedel, Adolph Friedrich (Hg.): Codex Diplomaticus Brandenburgensis (im Folgenden CDB), Reihe A, Bd. 2, Berlin 1842, Nr. 13, S. 447f. hier S. 447.

[2] Ebd., Nr. 43, S. 468f. u. Nr. 97, S. 515f.

[3] Ebd., Nr. 43, S. 468f.

[4] Vgl. dazu auch Schulze, Hans K.: Die brandenburgischen Stadtrechte im Mittelalter. Bemerkungen zu einer Karte im historischen Handatlas von Berlin und Brandenburg, in: Ders., Siedlung, Wirtschaft und Verfassung im Mittelalter. Ausgewählte Aufsätze zur Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands (= Quellen und Forschungen zur Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 5). Köln/Weimar/Wien 2006, S. 177–200, hier S. 185.

[5] Bütow, Sascha: „…mede begiftiget ys van unsern gnedighen heren…“: Überlegungen zum Transfer des Magdeburger Rechts nach Brandenburg und zu seinen Akteurem, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 158 (2022), S. 387–400.

[6] Zeiger, Antje: Wittstock – von der Bischofsburg zum Museum, in: Die Mark Brandenburg 113 (2019), S. 26–29.

[7] CDB, Reihe A, Bd. 2, Berlin 1842, Nr. 17, S. 450f.

[8] Wentz, Gottfried (Bearb.): Das Bistum Havelberg (= Germania Sacra Abt. 1, Bd. 2). Berlin/Leipzig 1933, S. 95–96.

[9] CDB, Reihe A, Bd. 2, Berlin 1842, Nr. 19, S. 452.

[10] CDB, Reihe A, Bd. 2, Berlin 1842, Nr. 17, S. 450.

[11] CDB, Reihe A. Bd. 1, Berlin 1838, Nr. 23, S. 422f.

[12] CDB, Reihe A. Bd. 3, Berlin 1843, Nr. 232, S. 486–488.

[13] Ein prägnantes Beispiel dafür stellt der vor allem in der Altmark wirksame „Bierkrieg“ 1488 dar, in dessen Folge auf landesherrliches Eingreifen hin Räte abgesetzt und städtische Freiheiten eingeschränkt worden sind. Zu dieser Entwicklung allgemein Böcker, Heidelore: Die Festigung der Landesherrschaft durch die hohenzollerischen Kurfürsten und der Ausbau der Mark zum fürstlichen Territorialstaat während des 15. Jahrhunderts, in: Brandenburgische Geschichte. Hg. v. Ingo Materna u. Wolfgang Ribbe, Berlin 1995, S. 169–230, hier S. 220f.

 

Zitation:

Sascha Bütow: Bischofsmacht und Bürgerwille: Wittstock und das Stendaler Recht, in: Das Magdeburger Recht. Baustein des modernen Europa, 21.05.2024, https://magdeburg-law.com/de/magdeburger-recht/historische-staedte/wittstock/

 

Bildnachweis:

Abb. 1: Wikimedia.org, Foto: Krzysztof Golik.

Abb. 2: Brandenburgisches Album. Hg. v. B. S. Berendsohn. Hamburg 1860, Nr. 57.

Abb. 3: Investitions- und Marketinggesellschaft Sachsen-Anhalt mbH, Foto: Jurai Lipták.