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Ein älteres Städtchen als gedacht:

Das im Spreewald liegende Vetschau wartet nicht gerade mit einer Vielzahl von Quellen auf, die eine eindeutige Nachzeichnung der städtischen Rechtsgeschichte im Mittelalter und darüber hinaus erlauben. Dieser Umstand führte dazu, dass es innerhalb der Ortsgeschichte zu markanten Fehleinschätzungen kam, die bis heute nicht vollends ausgeräumt sind. Die Entwicklung des Marktortes Vetschau zur Stadt, soweit es die vorhandenen Quellen erlauben, werden hiermit neu beleuchtet.

Innerhalb der Vetschauer Ortsgeschichte gewinnt das Jahr 1548 als Zeitpunkt des vermeintlichen Erhalts städtischer Rechte zunehmend Gewicht. Grundlage hierfür ist eine 2005 wiederentdeckte Urkunde[1] des römisch-deutschen Königs Ferdinand, der zugleich König von Böhmen und damit auch Markgraf der Niederlausitz war. Der mächtige Herrscher verlieh Vetschau nach einer zuvor erlittenen Feuersbrunst ein neues Wappen nebst dem Recht zum Abhalten eines Jahrmarktes, der fortan sonntags nach Ursula (21. Oktober) stattfinden sollte. Es handelt sich um eine illuminierte Urkunde, die in der Mitte eine Zeichnung des im Text beschriebenen Wappens enthält, dabei aber nicht ganz zutreffend ist. Dieses, durch schlechte Aufbewahrung stark in Mitleidenschaft gezogene Dokument, ist innerhalb der Stadt- und Landesgeschichte vielfach als Stadtrechtsprivileg ausgelegt worden, die somit 1548 erfolgt sein soll.[2]

Recherchen u.a. in der aktuellen Hauptsatzung Vetschaus weisen noch auf ein weiteres Jahr hin, nämlich 1543, in dem Vetschau das „formelle Stadtrecht“ erhalten haben soll.[3] Diese Angabe jedoch entbehrt jedweder Quellenbasis und dürfte auf einen Fehler im Historischen Ortslexikon für die Niederlausitz zurückzuführen sein. Hier wird die genannte Urkunde Ferdinands in Zusammenhang mit dieser Jahreszahl gebracht.[4] Der Bearbeiter des Werkes, Rudolf Lehmann, dürfte dies aber nicht beabsichtigt haben, denn in dem von ihm ebenfalls und etwas später bearbeiteten Beitrag zu Vetschau im Handbuch der historischen Stätten wiederholt er die Jahreszahl 1543 nicht. Lehmann bekräftigt an dieser Stelle vielmehr, dass Vetschau unter der Herrschaft der Familie von Zabeltitz in einem Zeitraum zwischen dem Anfang des 15. Jahrhunderts und der Mitte des 16. Jahrhunderts „Stadtcharakter“ angenommen habe.[5] Dies ist ein weiterer gravierender Unterschied zur oben wiedergegebenen Aussage, dass die Stadtrechtsverleihung 1548 erfolgt sei.

Der Widerspruch zwischen einer eher prozesshaft verlaufenden Stadtwerdung einerseits und dem einmaligen Akt der Stadtrechtsverleihung anderseits, lässt sich mit Blick auf einen urkundenkritischen Beitrag von Werner Heegewaldt auflösen. Anlässlich der Wiederauffindung der schon erwähnten Urkunde König Ferdinands wies er darauf hin, dass es sich um eine „Fehldeutung“ handele, den Wappenbrief Ferdinands als Stadtrechtsprivileg zu interpretieren.[6] Diesem Urteil ist zuzustimmen, da der Urkundentext in keiner Weise auf ein Stadtrecht eingeht, dessen sich die Vetschauer Bürgerschaft bedienen sollte. Üblicherweise werden in bekannten Stadtrechtsverleihungen zudem verschiedene Einzelrechte, Vergleiche, Spezifizierungen oder Abweichungen von übernommenen Reglungen anderer Kommunen angesprochen. Solche Bemerkungen finden sich ebenso wenig in der Vetschauer Urkunde.

Vetschaus Stadtwerdung muss sich vielmehr im Sinne Lehmanns nach und nach über einen längeren Zeitraum entwickelt haben. Dies kann aus dem Wappenprivileg König Ferdinands selbst geschlossen werden. So geht der Urkundentext bereits von einem existierenden Rat und einer bestehenden Gemeinde aus.[7] Für eine Stadt typische kommunale Strukturen lagen also bereits vor. Heegewaldt wies zurecht darauf hin, dass der Begriff „Stadt“ in der Urkunde allerdings vermieden wird. Stattdessen nutzte die königliche Kanzlei den v.a. im süddeutschen Raum verbreiteten Begriff „Markt“, um den Vetschauer Rechtsstatus zu bezeichnen.[8] Stadtähnliche Strukturen sind jedoch keineswegs auszuschließen. Als Markt bezeichnete Siedlungsformen verfügten für gewöhnlich über ausgeprägte Gemeindestrukturen und daraus hervorgehende Organe wie einen Rat, Schulzen oder Älteste, die durch angeeignete Privilegien eine Rechtsgemeinschaft bilden. Dieser stadtverwandte Siedlungstyp unterscheidet sich vom Dorf, verfügte jedoch häufig über ein geringeres Maß an Rechten und Autonomie als Städte und war zudem kleiner als sie.[9]

Für das mittelalterliche Vetschau treffen diese Kriterien zu. Seit seiner frühesten Erwähnung Anfang des 14. Jahrhunderts war der Ort Teil adliger Grundherrschaft, deren Besitzer recht häufig wechselten und ihren Sitz u.a. in Vetschau hatten. Das Erscheinungsbild der Siedlung machten zu diesem Zeitpunkt vermutlich dörfliche Strukturen aus.[10] Allerdings dürfte Vetschaus Lage an der vielbefahrenen, zwischen Magdeburg, Cottbus und Breslau verlaufenden Straße zu einem wirtschaftlichen Aufschwung beigetragen haben. Um den Verlauf dieser auch als „Salzstraße“ bezeichneten Route entbrannte 1371 zwischen den Anrainern und der abseits gelegenen Stadt Calau ein Streit, da Letztere versuchte, den Handelsverkehr auf sich zu lenken.[11] In diesem Zusammenhang wurde bekräftigt, dass der Weg von und nach Magdeburg u.a. über Vetschau, nicht Calau führen musste.

Zweifelsfrei beeinflusste dies die weitere Entwicklung Vetschaus, wo im Verlauf des 15. Jahrhunderts ein respektabler Marktverkehr geherrscht haben muss. Das begünstigte die Ausbildung örtlicher Gewerbe, deren früheste Spuren ins Jahr 1414 zurückführen, in dem sich Vetschauer Schuster und Lohgerber das nur für sie geltende Aufkaufrecht rohen Leder- und Kalbfells aneignen konnten.[12] Diese Bestimmung sicherte den von beiden Gewerken betriebenen Verkauf und Marktverkehr, die zum großen Teil direkt in Vetschau stattgefunden haben dürften. Allerdings lässt der Verlust aussagekräftiger mittelalterlicher Quellen keine näheren Schlüsse zu. Dass sich Vetschau jedoch binnen des 15. Jahrhunderts zu einem Städtchen mit entsprechenden Rechtsgewohnheiten entwickelt hat, ist anhand verschiedener Indizien und Belege unstrittig. Schon Rudolf Lehmann wies auf die Kontakte zwischen dem Luckauer Schöffenstuhl und Vetschau hin. Konkret betraf dies zwei Rechtsstreitigkeiten, die mit dem aus Vetschau stammenden Matthias Starasta verbunden sind, dessen Nachname eine sorbische Herkunft verrät. Beide Fälle stammen aus dem Ende des 15. Jahrhunderts und betreffen erbrechtliche Belange.[13] Entscheidend ist, dass die Luckauer Schöffen sehr wahrscheinlich vom Vetschauer Rat um Hilfe in diesen Erbrechtsangelegenheiten ersucht worden sind.[14] Sie führten gemäß dem „Luckoschen rechte“, das mit dem Magdeburger Recht verwand war, ihre Urteile herbei und fassten diese schriftlich zusammen. Zudem gehen die Luckauer Schöffen auf das Vetschauer „stat felde“ und das „stat gericht“ ein. Ebenso erwähnen sie ein heute verlorenes „stat büch zcu Fetczschow“, welches die Ansprüche beider Streitparteien unter Umständen hätte beweisen können.[15] Zusammengenommen belegen diese Sachverhalte typische städtische Strukturen in Vetschau und eine dortige Orientierung am Luckauer Recht, womit der Marktort dem Kreis der nach Magdeburger Rechtsgewohnheiten verfassten Kommunen zugeordnet werden kann.

Dies garantierte aber keinesfalls per se dasselbe Maß an Freiheit, Selbstverwaltung und Autonomie wie sie andere Städte der Niederlausitz wie etwa Luckau, Beeskow oder Guben besaßen. Im Unterschied zu diesen besaß das mediate Vetschau bis ins 19. Jahrhundert einen adligen Stadtherrn, der es in seine Grundherrschaft integrierte und durchaus in die Angelegenheiten der Kommune eingreifen konnte. Diese herrschaftlichen Rahmenbedingungen bringt zum Beispiel eine Lehnsurkunde des brandenburgischen Markgrafen Friedrich aus dem Jahr 1450 zum Ausdruck, die er in der Rolle eines Vogts der Niederlausitz gegenüber den Gebrüdern Christoph und Hans von Zabeltitz zu Vetschau ausstellte. Hier wird Vetschau in deutlicher Weise „stettichen“ genannt, um das sich adliger Besitz erstreckte, der außerdem die Dörfer Lobendorf und Suschow sowie Rechte im Lübbenauer Spreewald und in Weißagk umfasste.[16]

Eine solch starke Abhängigkeit vom Stadtherrn spiegelt schließlich ebenfalls die eingangs erwähnte Urkunde König Ferdinands aus dem Jahr 1548 wider. Die treibende Kraft, die sich um die Ausstellung dieses Schriftstücks bemühte, war Eustachius von Schlieben, der Vetschau 1540 von der Familie von Zabeltitz käuflich erwarb. Wie Heegewaldt nachvollziehbar schildert, nutzte von Schlieben die von ihm beeinflussten diplomatischen Verhandlungen zwischen Brandenburg und Böhmen im Umfeld des Schmalkaldischen Krieges dazu, in nicht näher bestimmbarer Weise König Ferdinand um die Ausfertigung des Vetschauer Wappenprivilegs zu bitten.[17] Sein Einfluss reichte sogar soweit, dass er selbst die Gestalt des Vetschauer Wappens bestimmte. Es nahm vor dem Hintergrund seiner Eheschließung mit Katharina von Schapelow Teile der Wappen beider Ehepartner auf: einen Balken in blau-silbernem Schachmuster als Zeichen der Familie von Schlieben sowie ein mit goldenem Halsband versehenen Windhund für die Familie von Schapelow. Selbstredend diente dies dem Prestige des Stadtherrn, dessen familiäre Symbole gleichsam zu denen der Stadt wurden. Auf originelle und beeindruckende Art hat es Eustachius von Schlieben verstanden, die Erinnerung an seine Person und Herrschaft örtlich festzuhalten. Hierbei nutzte er einmalige situative Gelegenheiten, die keine Stadtwerdung Vetschaus initiierten, aber allemal auf älteren kommunalen Strukturen gründeten.

Autor: Sascha Bütow

Anmerkungen:

[1] Destinata Literaria Et Fragmenta Lvsatica, Reihe 1, Bd. 8, Lübben 1738, Nr. V, S. 815–822. Zur Wiederentdeckung vgl. Sensationsfund auf Boden in Vetschau, in: https://www.lr-online.de/lausitz/luebben/sensationsfund-auf-boden-in-vetschau-36469702.html [zuletzt abgerufen am 10.08.2020].

[2] Stellvertretend seien genannt Wilhelm Braunsdorf: Aus der Vergangenheit der Stadt und Herrschaft Vetschau, in: Der Gebirgsfreund 18 (1906), S. 7–11, hier S. 10; Gertraud-Eva Schrage: Vetschau, in: Städtebuch Brandenburg und Berlin, hg. v. Evamaria Engel u. a. Berlin 2000, S. 529; Manfred Niemeyer (Hg.): Deutsches Ortsnamenbuch, Berlin/Boston 2012, S. 652.

[3] So formuliert beispielsweise auf der Internetseite der Stadt: https://stadt.vetschau.de/startseite/stadtplan.html [letzter Abruf 10.08.2020]; ähnlich auch bei https://www.augias.net/2005/07/14/anet4644/ [letzter Abruf am 10.08.2020]; auch die Hauptsatzung der Stadt Vetschau nutzt dieses Datum als Zeitpunkt des Stadtrechtserwerb: „§ 1 Gemeinde (1) Die Gemeinde besitzt seit dem Jahr 1543 das Stadtrecht und führt ab dem 01.01.1997 den Namen „Vetschau/Spreewald“. Die Hauptsatzung ist online veröffentlich und kann eigensehen werden unter: http://www.vetschau.de/cms/upload/people/download_Satzungen/Hauptsatzung.pdf [Zuletzt abgerufen am 12.08.2020].

[4] Rudolf Lehmannf (Bearb.): Historisches Ortlexikon für die Niederlausitz, Bd. 1, Marburg 1979, S. 390.

[5] Rudolf Lehmann: Vetschau, in: Handbuch der historischen Stätten, Bd. 10, Berlin und Brandenburg, hg. v. Gerd Heinrich, 3. Aufl., Stuttgart 1995, S. 385.

[6] Werner Heegewaldt: Ein ungewöhnlicher Dachbodenfund – Das Wappenprivileg König Ferdinands I. für Vetschau 1548, in: Brandenburgische Archive 24 (2007), S. 5–11, hier S. 9.

[7] Destinata Literaria (wie Anm. 1), S. 817.

[8] Heegewaldt (wie Anm. 6), S. 9.

[9] Zur rechtlichen Unterscheidung zwischen Marktort und Stadt vgl. Albrecht Cordes u. Alexander Krey: Marktflecken, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 3, Konfliktbewältigung – Nowgorod, 2. Aufl., Berlin 2016, Sp. 1319–1320.

[10] Lehmann (wie Anm. 5), S. 385.

[11] Woldemar Lippert: Cottbus als Knotenpunkt von Handelsstraßen im 14. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Geschichte des Verkehrs in der Niederlausitz, in: Niederlausitzer Mitteilungen 3 (1893/94), S. 73–85, hier Nr. 3, S. 80–84.

[12] Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Rep. 37, Vetschau Nr. 250.

[13] Rudolf Lehmann (Hg.): Quellen zur Geschichte der Niederlausitz, Teil 2, Köln/Wien 1976, S. 13.

[14] Ebd., Nr. 67 a, S. 94–95.

[15] Ebd., Nr. 68 a, S. 95–96.

[16] Lehmann (wie Anm. 13), Teil 1, Köln/Wien 1972, S. 225.

[17] Heegewaldt (wie Anm. 6), S. 9–11.

 

Zitation:

Sascha Bütow: Vetschau. Ein älteres Städtchen als gedacht, in: Das Magdeburger Recht. Baustein des modernen Europa, 11.09.2020, https://magdeburg-law.com/de/magdeburger-recht/historische-staedte/vetschau/