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Stadtrecht und Verfassungsentwicklung zwischen Stadtbrand und Bierkrieg:

Das im Westen der Altmark östlich der Milde entstandene Gardelegen besaß innerhalb des mittelalterlichen Handelsverkehrs eine wichtige Lage. Braunschweig, Lüneburg, Magdeburg, Salzwedel und Stendal waren die nächstgelegenen größeren Handelspartner, über die weitere Verbindungen in den hansischen, mittel- sowie ostdeutschen Raum führten. Das auf diese Weise in Gardelegen gebildete Straßenkreuz ließ den hiesigen Marktverkehr florieren und begünstigte die Entstehung einer städtischen Gemeinschaft. Wann sich diese genau konstituierte bzw. zu welchem Zeitpunkt sie Stadtrecht erhielt, bleibt unklar. Die herrschaftlichen Verhältnisse lassen jedoch vermuten, dass die Askanier hierbei eine wichtige Rolle als Förderer gespielt hatten, da ihnen Gardelegen nach 1160 gehörte.[1]

Aussagekräftigere Quellen zur städtischen Rechtsgeschichte liegen erst aus der Zeit des 13. Jahrhunderts vor. Wie aus dem Jahr 1241 zu erfahren ist, war Gardelegen von einem Stadtbrand heimgesucht worden, der zu schwerwiegenden Zerstörungen geführt hatte. So musste u.a. das Rathaus, das auch als Kaufhaus genutzt wurde, mit Scharren und Verkaufsbuden neu aufgebaut werden. Die innerhalb der brandenburgischen Landesgeschichte als Städtegründer und -förderer bekannten Markgrafen Johann und Otto ließen Gardelegen daraufhin verschiedene Vergünstigungen wie Zollfreiheit und kostenlosen Holzeinschlag zuteilwerden. Im Rahmen ihres Privilegs sprachen sie auch rechtliche Belange an, indem klagende Bürger ihre Anliegen vor den Stadtvogt bringen sollten, der dann nach den städtischen Gewohnheiten (consuetudines ciuitatis) Gardelegens zu entscheiden hatte.[2] Damit erfolgt ein Verweis auf das in Gardelegen geltende Stadtrecht, dessen Charakter allerdings an dieser Stelle nicht näher ausgeführt wird. Eine weitere Urkunde, mit der die Markgrafen Johann, Otto und Konrad 1278 der Stadt Prenzlau das Magdeburger Recht bestätigten, bringt jedoch Klarheit bezüglich der in Gardelegen geltenden Gewohnheiten. So wird in der Prenzlauer Urkunde hervorgehoben, dass sich die hiesige Bürgerschaft derselben Rechte bedienen möge, wie sie die Bürger Stendals und Gardelegens besäßen. Wie hinzugefügt wird, richteten sich Letztere nach den in Magdeburg üblichen Rechtsgewohnheiten.[3] Diese explizit so auf die beiden altmärkischen Städte hin beschriebene Übertragung der Stadtrechte an Prenzlau wird nur dadurch verständlich, wenn davon ausgegangen wird, dass sich Siedler aus Stendal und Gardelegen hieran in entscheidender Weise beteiligten.[4]

Abb. 1: Stendaler Straße in Gardelegen – zwischen Stendal und Gardelegen bestanden im Mittelalter vielfache rechtliche Beziehungen (Ansichtskarte 1930er Jahre)

Das Stadtrecht von Gardelegen, das in einer weiteren Urkunde aus dem Jahr 1290 „jus Ciuitatis Gardelege“ genannt wird[5], dürfte einen engen Bezug zum Recht der Stadt Stendal besessen haben. Dafür spricht nicht nur die erwähnte Prenzlauer Urkunde, sondern auch die Tatsache, dass sich der Gardelegener Rat 1327 bei der Abfassung rechtlicher Statuten für die Innung der Kürschner eine Vorlage aus Stendal verwendete.[6] Dem dürfte eine Abstimmung zwischen beiden Städten vorausgegangen sein. Zu einem inhaltlichen Bezug nach Stendal kam es auch 1316 als Markgraf Woldemar dem Gardelegener Rat das landesherrliche Schulzengericht übertrug.[7] Die damit verbundenen Grundlagen sollten sich nach den in Stendal herrschenden Modalitäten richten: „eo modo, quo in Ciuitate stendal tenetur et regitur.“[8]

Neben Stendal blieben auch die übrigen größeren Städte der Altmark das gesamte Spätmittelalter hindurch für den Gardelegener Rat wichtige Bündnispartner. In besonderer Weise zeigt sich dies im Jahr 1321 als mit dem Aussterben der brandenburgischen Askanier unsichere herrschaftliche Zeiten anbrachen. Die Stadt Gardelegen beteiligte sich aus diesem Grund gemeinsam mit umliegenden Adligen, markgräflichen Vasallen, den Schöffen der Stadt und der gesamten Bürgerschaft an einem Bund mit den Städten Stendal, Salzwedel, Tangermünde, Osterburg, Seehausen, Werben und allen übrigen Ständen der Altmark. Das Ziel der Übereinkunft war es, die rechtliche Sicherheit aller beteiligten Partner zu schützen – eine ursprünglich dem Landesherrn zustehende Aufgabe. Diesem Bündnis folgten weitere Zusammenschlüsse, wie etwa eine 1392 geschlossene Vereinbarung zwischen Stendal, Gardelegen, Tangermünde, Osterburg und Werben, die sich gegen den Einfluss und die Gewalt geistlicher Gerichte wandte. Hierdurch sollte jedem zu Unrecht beklagten Bürger der genannten Städte Gerechtigkeit zuteilwerden, die im Falle einer Appellation sogar soweit führen konnten, dass ein abgesandter Ratsherr jeder Stadt nach Stendal reiten sollte, um dort für eine Beilegung des Rechtsstreites einzustehen.[9]

Abb. 2: Eine Rolandfigur in Gardelegen wird 1450 erstmals erwähnt. Eine hölzerne Version könnte es bereits im 14. Jh. gegeben haben. 1526 wurde ein in Königslutter am Elm hergestellter Roland zerstört und 1564 wiedererrichtet.
Auch diese Figur wurde bei einem Stadtbrand 1727 vernichtet. Die jetzige Statue wurde 2002 enthüllt.

Gardelegen fügte sich damit zum Schutz seiner bürgerlichen und städtischen Rechte in ein gegenseitiges von Treue- und Beistandsbekundungen geprägtes Netz altmärkischer Städte ein. Gerade die seit Ende des 14. Jahrhunderts verstärkt aufkommenden Überfalle und Raubzüge auf den Handelsstraßen stellten diese städtischen Bündnisse jedoch vor große Herausforderungen. So lässt sich einer 1394 an den Lüneburger Rat gesandten Anzeige des Ritters Heinrich von Veltheim als rechtlich bestellter Geleitsherr von Bodenteich entnehmen, dass zwei Adlige eine Kolonne von Fuhrwagen aus Gardelegen überfallen, dabei mehrere Pferde erschossen und schließlich bedeutende Mengen Handelswaren entwendet hatten.[10] Ferner zeugt ein 1436 getätigter Bericht davon, dass in der gesamten Altmark Überfälle, Raubtaten und Brandschatzungen auf den Straßen auftraten, wodurch insbesondere Kaufleute und Pilger zu leiden hatten. Noch im selben Jahr erneute Gardelegen sein Bündnis mit den Städten der Altmark. Man schwor sich gegenseitig, die Friedensbrecher nicht zu beherbergen, sondern ihrer unter Aufbietung aller Kräfte habhaft werden zu wollen. Da diese gegenseitige Zusicherung „vp des rikes vnd vser hern strate“ in Bezug auf Kaufleute, Pilger und fromme Leute gelten sollte[11], wird deutlich, dass die Gemeinschaft von Städten hiermit eindeutig landesherrliche und königliche Aufgaben zur Sicherung des Landfriedens für sich in Anspruch nahm. Ohne Zweifel ist dies ein deutlicher Ausweis für das zeittypische Autonomiestreben Gardelegens und der übrigen altmärkischen Städte. Die fehlende Macht des Königs und des brandenburgischen Landesherrn ließ eine solche bürgerliche Entfaltung zu.

Abb. 3: Rathaus von Gardelegen (Foto J.-H. Janßen, 2017)

Die Ratsherren der Stadt Gardelegen bekamen jedoch andererseits ebenso die Grenzen ihres herrschaftlichen Strebens aufgezeigt. Wie alle städtischen Gemeinden im Mittelalter war man auch in Gardelegen um eine Erweiterung des Besitzes außerhalb des eigenen Weichbildes bemüht. Dies gelang zum Beispiel mit dem Erwerb eines Gehölzes beim Dorf Berge 1337, die Hein von Rochow als Lehnsmann Herzogs Otto von Braunschweig an die Stadt abtrat.[12] Diesen Besitz machte der Stadt ein Vasall der Familie von Alvensleben namens Harneyd Melk Mitte des 15. Jahrhunderts allerdings streitig, da er das Dorf Berge zu Lehn besaß und für sich in Anspruch nahm, auf dem Gehölz der Stadt Gardelegen Gras mähen zu lassen. Nach längeren Auseinandersetzungen mit dem Vasallen wandten sich die Ratsherren von Gardelegen an die Magdeburger Schöffen mit der Bitte um ein Rechtsurteil. Große Chancen malten sich sie sich dadurch aus, dass sie den Schöffen die 1337 ausgestellte Kaufurkunde zur Kenntnis gaben. Der Magdeburger Urteilsspruch bestätigte der Stadt Gardelegen daraufhin den Besitz des Gehölzes, munterte aber zugleich, dass die Bürgerschaft dem Lehnsmann des Dorfes Berge über dreißig Jahre das Abmähen der Liegenschaft nicht untersagt habe und deshalb daraus ein Nutzungsanspruch folge. Sofern also Harneyd Melk keine Rechtsbrüche beging, durfte er weiter Gras mähen. Die Magdeburger Schöffen untersagten ihm allerdings die Holznutzung, die uneingeschränkt bei der Stadt Gardelegen verbleiben sollte.

Das aus Magdeburg zugegangene Schöffenurteil zeitigte auch in anderer Hinsicht keinen Erfolg. Denn es gelang damit nicht, eine Einigung zwischen den Streitparteien herbeizuführen. Im Gegenteil: Die mit Harneyd Melk geführten Auseinandersetzungen fanden unter dessen Sohn Werner eine Fortsetzung und konnten erst 1488 unter Einbezug der Familie von Alvensleben rechtlich beigelegt werden.[13] Damit wird zugleich ein Merkmal der Magdeburger Schöffensprüche sichtbar. Ihre Umsetzung war alles andere als selbstverständlich. Ob ihnen tatsächlich nachgekommen wurde, hing viel eher von dem Konsenswillen und der Mitwirkung der Streitparteien ab.

Auch mit dem brandenburgischen Landesherrn geriet die Bürgerschaft Gardelegens gegen Ende des 15. Jahrhunderts in Konflikt, was nicht ohne verfassungsrechtliche Konsequenzen blieb. Den Hintergrund dafür bot der so genannte Bierkrieg, ein Streit um die durch Kurfürst Johann und den Landtag eingeführte, auf Bier erhobene Verbrauchssteuer (Bierziese). Gerade die altmärkischen Städte, darunter auch Gardelegen, fürchteten dadurch starke wirtschaftliche Verluste, eine unrechtmäßige Bevormundung und leisteten deshalb bewaffneten Widerstand gegen den Landesherrn.[14] Das Aufbegehren blieb jedoch ohne Erfolg, so dass sich auch in Gardelegen die Gemüter beruhigten und die dortige Bürgerschaft samt Bürgermeister und Rat in einen Konsens mit dem Kurfürst Johann einwilligten. Der geschlossene Kompromiss billigte dem brandenburgischen Landesherrn allerdings dauerhaft zu, „einen Newen Rat alhie zu Gardelege szu setzenn“, sofern er mit der stadteigenen Kandidatenwahl nicht einverstanden war.[15] Damit musste die Bürgerschaft Gardelegens eine empfindliche Einschränkung ihrer Selbstverwaltungsrechte hinnehmen. Gleichwohl spiegelt sich hierin eine typische Tendenz der kurfürstlichen Städtepolitik im spätmittelalterlichen Brandenburg wider, die bestrebt war, die Bürgerschaften stärker in die entstehende Landesherrschaft einzubinden.

Abb. 4: Salzwedeler Tor in Gardelegen, Teil des alten Befestigungsring der Stadtmauer

Auf diese Weise blieb auch der Bezug der örtlichen Rechtsgeschichte eng mit dem brandenburgischen Kurfürsten verbunden. Dies verdeutlicht ebenso eine interessante Urkunde aus dem Jahr 1505 verrät, wonach es in Gardelegen durchaus Unmut über die Besetzung des dortigen Schöffenstuhls gab. Dem Rat war daran gelegen, hierfür zuverlässige Personen zu gewinnen. Bei erfolgter Auswahl stellte sich jedoch oft heraus, dass sich die betreffenden Kandidaten weigerten und zurückzogen, „dadurch die gericht geschwecht vnnd dem gemeynen Nutz nachteyll vnnd schad entsteht.“[16] Offenbar hatte der Gardelegener Rat selbst keine ausreichenden Machtmittel, um dies zu verhindern, so dass ihm nur ein Hilfegesuch an Kurfürst Joachim und seinen Bruder Albrecht blieb. Diese bestimmten aus ihrer Gewalt als Markgrafen von Brandenburg heraus, dass die in Gardelegen gewählten Schöffen ihr Amt wahrzunehmen hatten und sich dem nicht widersetzen durften. Im Falle einer Weigerung drohten beide Fürsten mit dem Verlust des Bürgerrechtes.

Abb. 5: Kurfürst Johann von Brandenburg, Kupferstich aus „Brandenburgischer Ceder-Hein“, 1682 von Johann Wolfgang Rentsch
(Magdeburg, Kulturhistorisches Museum, Bibliothek, Sig. G 0254)

Zwischen dem frühen Stadtbrand im 13. Jahrhundert und dem gegen Ende des 15. Jahrhunderts gezeigten bürgerlichen Aufbegehren gegen den brandenburgischen Kurfürsten im Rahmen des Bierkriegs lassen sich in Gardelegen viele spannende rechtsgeschichtliche Facetten beobachten, die in künftigen Forschungen stärker berücksichtigt werden sollten.

Autor: Sascha Bütow

Anmerkungen:

[1] Vgl. Lutz Partenheimer: Albrecht der Bär. Gründer der Mark Brandenburg und des Fürstentums Anhalt. 2. Aufl. Potsdam 2016, S. 193.

[2] Adolf Friedrich Riedel (Hg.): Codex Diplomaticus Brandenburgensis, Reihe A, Bd. 6, Nr. CXV, Berlin 1846, S. 87.

[3] Ebd., Bd. 21, Nr. VIII, Berlin 1861, S. 93–94.

[4] Zur Gründung Prenzlaus unter Beteiligung möglicher aus der Altmark stammender Siedler vgl. Schich, Winfried: Prenzlau von der Stadtwerdung bis zum Ende der Askanierherrschaft (von der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts bis 1320), in: Geschichte der Stadt Prenzlau, hg. v. Klaus Neitmann u. Winfried Schich, Horb am Neckar 2009, S. 27–62.

[5] Adolf Friedrich Riedel (Hg.): Codex Diplomaticus Brandenburgensis, Reihe A, Bd. 6, Nr. CXVII, Berlin 1846, S. 89.

[6] Ebd., Nr. CXXVIV, S. 96–97.

[7] Heiner Lück: Stadtrechte in der Altmark – ein Überblick, in: Sachsen und Anhalt 32 (2020), S. 41–77, hier S. 71.

[8] Adolf Friedrich Riedel (Hg.): Codex Diplomaticus Brandenburgensis, Reihe A, Bd. 6, Nr. CXXV, S. 94.

[9] Vgl. ebd., Nr. CXLVII, S. 105–106.

[10] Hans Friedrich Georg Julius Sudendorf (Hg.): Urkundenbuch zur Geschichte der Herzöge von Braunschweig und Lüneburg und ihrer Lande. Bd. VII: Vom Jahre 1390 bis zum Jahre 1394. Hannover 1871, S. 317.

[11] Adolf Friedrich Riedel (Hg.): Codex Diplomaticus Brandenburgensis, Reihe A, Bd. 6, Nr. CLXVIII, S. 120–121, hier S. 120.

[12] Adolf Parisius: 4 Urkunden aus dem Ratsarchiv der Stadt Gardelegen, in: Jahresbericht des Altmärkischen Vereins 20 (1884), S. 11-22, hier Nr. 3, S. 17–18.

[13] Adolf Friedrich Riedel (Hg.): Codex Diplomaticus Brandenburgensis, Reihe A, Bd. 6, Nr. CCXIV, S. 152–153.

[14] Felix Escher: Die Mark Brandenburg unter den frühen Askaniern. Eine historische Einführung, in: Die Mark Brandenburg unter den frühen Hohenzollern. Beiträge zu Geschichte, Kunst und Architektur im 15. Jahrhundert. Hg. v. Peter Knüvener u. Dirk Schuhmann. Berlin 2015, S. 17–34, bes. S. 33.

[15] Riedel, Adolf Friedrich (Hg.): Codex Diplomaticus Brandenburgensis, Reihe A, Bd. 6, Nr. CCXII, S. 149–151, hier S. 149.

[16] Ebd., Nr. CCXX, S. 157–158, hier S. 157.

 

Zitation:

Sascha Bütow: Gardelegen. Stadtrecht und Verfassungsentwicklung zwischen Stadtbrand und Bierkrieg, in: Das Magdeburger Recht. Baustein des modernen Europa, 11.12.2020, https://magdeburg-law.com/de/magdeburger-recht/historische-staedte/gardelegen/

Bildnachweis:

Abb. 1: zeno.org (gemeinfrei)

Abb. 2: Dr. Minx (Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0)

Abb. 3: Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0

Abb. 4: Spreepaula (Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0)