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Die „Hauptstadt“ der Niederlausitz und das Magdeburger Recht

Das in der Niederlausitz gelegene und 1276 erstmals genannte Luckau[1] konnte im Laufe des Mittelalters ein recht hohes Maß an Autonomie erlangen und seine Rechte nach und nach auf das Umland ausdehnen. 1297 erstmals „civitas“ genannt[2], profitierte die Stadt von ihrer verkehrsgünstigen Lage an einem Kreuzungspunkt zweier bedeutender Straßen. Die so genannte Messstraße zwischen Leipzig und Frankfurt (Oder) sowie die zwischen Magdeburg und Glogau verlaufende Straße ließen in Luckau einen Umschlagplatz mit überregionalem Marktbetrieb entstehen.[3] Letzterer bot eine wichtige Grundlage für den Aufstieg der Stadt, die 1492 im Jahr der Entdeckung Amerikas erstmals als „Hauptstadt der Niederlausitz“ bezeichnet wurde. Das veranschaulicht auf eigentümliche Weise den in großen Teilen der Bürgerschaft erarbeiteten Wohlstand. Dieser beruhte nicht zuletzt auf gezielten Ausgriffen der Ratsherren in das Umland ihrer Stadt. Hier boten sich in typischer Weise Möglichkeiten zur Erweiterung des bürgerlichen und kommunalen Grundbesitzes. Der Rat eröffnete seinen Bürgern damit den Erwerb von Äckern, Wäldern, Gewässern und anderen Nutzflächen. Wie Gertraud Eva Schrage aufzeigte, gelang es den Luckauer Ratsherren, sich in einem Umkreis von 15 km um die Stadt zwölf Dörfer und Rechte in weiteren Orten anzueignen.[4]

Abb. 1: Blick vom Luckauer Markt auf das Rathaus der Stadt. Der historische Stadtkern von Luckau hat heute noch sehr viel von seiner mittelalterlichen Struktur bewahrt.

Der im Westen sehr nahe an Luckau gelegene und 1358 erstmals erwähnte Ort Sando genoss einen besonderen ratsherrlichen Fokus. Die Stadtväter dehnten in dieser ursprünglich eigenständigen Siedlung während des 14. Jahrhunderts ihren Einfluss systematisch aus. Dies gelang durch einen über Jahrzehnte andauernden Erwerb von Besitz und Hebungsrechten im Dorf. Die längere Entwicklungsphase hing damit zusammen, dass der Luckauer Rat in Sando auf konkurrierende Herrschaftsverhältnissen stieß. Dies betraf im Wesentlichen die Herren von Ileburg, die die Oberlehnsherren in Sando waren. Luckauer Bürger sahen hierin offenbar keinen Hinderungsgrund, in Sando selbst Besitz zu erwerben. Ein Beispiel hierfür ist Tilo von Kalow mit seinen Söhnen. Sie hatten in der Luckauer Pfarrkirche 1358 eine Altarstiftung getätigt, die u.a. mit Einkünften aus Sando finanziert worden ist.[5] Acht Jahre später gelang dem Luckauer Rat dann eine wichtige Bestätigung seiner Recht in Sando, die Herzog Bolko von Schlesien als Markgraf der Niederlausitz vornahm. Genauer war dabei die Rede vom Ankauf des Dorfes. Ob es sich bei dieser Bemerkung um das gesamte Dorf oder nur die Besitzteile der Herren von Ileburg handelte, bleibt umstritten.[6] Danach intensivierten sich die Zins- und Gütergeschäfte in Sando. Darüber hinaus entstand zwischen diesem Dorf und Luckau allmählich eine Vorstadt. Sie ging aber ebenso wenig wie das nahe Dorf in der Stadt Luckau auf.

Dies galt ebenso für die Calauer Vorstadt auf der anderen Seite Luckaus. Jede Siedlung blieb für sich eine eigene Rechtsgemeinde, die dem Luckauer Rat untergeordnet und durch eigene Rechte von den Bürgern unterschieden waren. Eine Besonderheit markierten die Vorstädter vom Töpferende, die dritte der Luckauer Vorstadtgemeinde. Sie trug mit ihren Aufgaben zur Selbstverteidigung und Brandbekämpfung der Stadt bei. Ihre Bewohner besaßen das Bürgerrecht. Wie in den übrigen Vorstädten blieben aber auch hier eigenständige Nachbarschaftsstrukturen gewahrt. So wurden Vorsteher gewählt, die die Gemeinschaft repräsentierten und als Vermittler zwischen ihr und dem Luckauer Rat auftraten. Die Vorstädter vom Töpferende organisierten sich selbst und stellten Regelungen auf, die für sie galten. Übertretungen wurden mit Strafzahlungen geahndet, die in eine Büchse (Gemeinschaftskasse) flossen.[7] Die Bewohner aller drei Luckauer Vorstadtgemeinden nannten sich selbst „Noppern“ – eine mundartliche Ableitung von „Nachbarn“. Diese Gemeinden bestehen bis heute.[8]

Abb. 2: Die Kulturkirche in Luckau beherbergt heute das Niederlausitzmuseum. Im Mittelalter befand sich hier ein Kloster des Dominikanerordens. Dessen Mitglieder widersetzten sich im späten Mittelalter zunehmend gegen kommunale Belastungen, die sie für erworbene Grundstücke tätigen mussten. Diese Situation führte zu rechtlichen Streitigkeiten.

In Luckau selbst galt das Magdeburger Recht, wo es die kommunalen Verhältnisse wesentlich prägte. Die Stadt erlangte dabei überregionale Bedeutung, da der hiesige Schöffenstuhl für andere Städte als so genannter Oberhof in Fragen und Auslegungen zum Magdeburger Recht fungierte. Belege dafür finden sich im Luckauer Schöffenbuch, deren ältere Sprüche ins 13. Jahrhundert zurückreichen und zum Beispiel rege Kontakte nach Beeskow bezeugt.[9] Die dortigen Ratsherren holten in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts rechtlichen Rat in Luckau ein, als sie Statuten für die Zünfte abfassten. Auch aus der östlichen Niederlausitz wandten sich Magdeburger Rechtsstädte wie Calau, Guben oder Forst an die Luckauer Schöffen. Letztere berieten ebenso kleinere Städte wie Finsterwalde und Vetschau mit Rechtsprüchen. Beziehungen gab es gleichfalls zu den Spreewaldstädten Lübben, Lübbenau, Peitz und Cottbus. Obgleich die weitgefasste Spruchtätigkeit der Luckauer Schöffen großes Gewicht besaß, so führte sie jedoch nicht zwangsläufig zum Erfolg. Oft hatten sich die Städte der Macht ihrer Herren zu beugen, wofür Beeskow, Lübbenau oder auch Lübben Beispiele sind.

Die Ratsherren von Luckau ihrerseits nahmen für sich in Anspruch, nicht nur das gemeine Wohl innerhalb der Bürgergemeinde, sondern auch in den Vorstädten zu gewährleisten. Dazu gehörte nicht nur ausgleichendes Handeln, sondern auch die Vermittlung in Konflikten, die die Nachbarn vom Töpferende gegenüber anderen Personengruppen austrugen. So stellte sich beispielsweise das Verhältnis der Noppern des Töpferendes zu den Dominikanern in Luckau durchaus konfliktreich dar. Konkret entluden sich öfter Streitigkeiten um Grundstücke, die die Dominikaner in der Vorstadt besaßen. Aus dem Jahr 1529 ist zum Beispiel von Gärten zu erfahren, die Dominikanermönchen gehörten.[10] Für diese Grundstücke war der Prior der Dominikaner offenbar nicht länger bereit, die Kommunallasten mitzutragen, obgleich seine Vorgänger dies stets getan hätten. Diese Kommunallasten umfassten Hofarbeit, Geldzahlungen, Wachdienste und Toraufsichten. All dies mussten auch andere Grundstückseigener in der Vorstadt erbringen. Infolgedessen beschwerten sich die Nachbarn des Töpferendes über die Weigerung der Dominikaner beim Luckauer Rat, der seinerseits den Landvogt der Niederlausitz über die Angelegenheit informierte. Die Ratsherren baten ihn, den Prior von seinem unnachvollziehbaren Verhalten abzubringen.

Abb. 3: Reliefkachel mit Darstellung einer Töpferwerkstatt aus der Sandoer Vorstadt, um 1790. Das Töpferhandwerk war in Luckau seit dem Mittelalter fest etabliert. Nach dem s.g. Töpferende wurde in Luckau eine rechtlich eigenständige Vorstadt benannt.

Dies veranschaulicht, dass die Vorstädter zwar ihre inneren Angelegenheiten unter Aufsicht des Luckauer Rates regeln durften. Was ihnen aber verwehrt blieb, war das eigene Verhandeln mit den Mönchen oder gar dem Landvogt. Vielmehr mussten sie sich in diesen Fällen vom Luckauer Stadtrat nach außen vertreten lassen. Der Streit mit den Dominikanern verschärfte sich jedoch in der Folgezeit. Denn es schaltete sich der sächsische Provinzial der Dominikaner in die schwelende Auseinandersetzung ein. Er schrieb 1535 an den Luckauer Rat, dass er bei einem Besuch der Stadt von den Beschwerden der dortigen Vorstädter erfahren habe. Er beklagte sich darüber, dass die Vorstädter keine Beweise dafür beigebracht hätten, dass die Dominikaner verpflichtet seien, die Kommunallasten mitzutragen. Der Provinzial forderte den Rat vielmehr dazu auf, für Ruhe unter den Vorstädtern zu sorgen und die Sache ruhig abzuwarten, bis die Obrigkeit diese erörtert habe.[11]

In dieser Stellungnahme zeigt sich aus einer von außen kommenden Perspektive wiederum die rechtliche Stellung der Vorstädter. Es war also auch aus Sicht des Provinzials der Luckauer Rat, der sich für die Vorstädter verantwortlich zeigte und in letzter Instanz deren Stellung vertrat. Über die Ratsherren erhielten die Vorstädter schließlich auch das Schreiben des Landvogtes, von dem man sich eine Lösung erhoffte. Aus diesem ging hervor, dass der Prior der Dominikaner dem Landvogt mitgeteilt habe, dass die Vorstädter ihm beschwerliche Neuerungen aufzuerlegen beabsichtigten. Eine Gegenrede wurde nunmehr verlangt. In dieser erläuterten die Vorstädter, dass das Dominikanerkloster noch drei Gärten in der Vorstadt besäße. Auf diesen hätten früher begüterte Männer und Bürger gewohnt, die diese Besitzungen zuvor zum Schaden der vorherigen Eigentümer an sich gebracht hätten. Von ausschlaggebender Bedeutung war nun der Umstand, dass die Gärten im Bürgerrecht lagen und seit alters mit der Verpflichtung zu Kommunalleistungen belegt waren. Die Vorstädter baten, diese Antwort dem Landvogt vorzulegen und sie bei ihren hergebrachten Rechten zu schützen.[12] Im Hinblick auf diese Bemerkung zeigt sich eine letzte wichtige Facette der Beziehung zwischen Stadt und Vorstadt. Die Vorstädter konnten von den Ratsherren Luckaus Schutz und Sicherung ihrer kommunalen Gewohnheiten und Rechte fordern. Der Streit mit den Dominikanern in den 30er Jahren des 16. Jahrhunderts veranschaulicht, dass die Ratsherren dieser Aufgabe nachzukommen gedachten. Gehorsam der Vorstädter traf auf Rechtssicherheit des Rates.

Autor: Sascha Bütow

Anmerkungen:

[1] Lehmann, Rudolf (Bearb.): Urkundeninventar zur Geschichte der Niederlausitz bis 1400 (= Mitteldeutsche Forschungen 55), Köln/Graz 1968, S. 66.

[2] Ders. (Hrsg.): Urkundenbuch des Klosters Dobrilugk und seiner Besitzer (= Urkundenbuch zur Geschichte des Markgrafthums Niederlausitz 5), Leipzig/Dresden 1941, Nr. 99, S. 91f.

[3] Bruns, Friedrich u. Weczerka, Hugo: Hansische Handelsstraßen. Textband (= Quellen und Darstellungen zur Hansischen Geschichte N.F. 13/2). Weimar 1967, S. 550–552 u. S. 555–557.

[4] Schrage, Gertraud Eva: Städtischer Grundbesitz und Stadt-Land-Beziehungen in der Niederlausitz im späten Mittelalter am Beispiel Luckaus, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 42 (1994), S. 141–168, hier S. 154.

[5] Lehmann, Urkundeninventar (wie Anm. 1), Nr. 623, S. 249.

[6] Schrage, Städtischer Grundbesitz (wie Anm. 4), S. 155.

[7] Lehmann, Rudolf (Bearb.): Die Urkunden des Luckauer Stadtarchivs in Regesten (= Schriften des Instituts für Geschichte, Reihe 2, Landesgeschichte 5), Berlin 1958, Nr. 342, S. 190f.

[8] Donath, Marlies: Die „Noppern“ in Luckau. Nachbarschaftsgemeinden mit Tradition, in: Tür an Tür. Haus an Haus. Nachbarschaften in der historischen Stadt, hg. v. der Arbeitsgemeinschaft „Städte mit historischen Stadtkernen des Landes Brandenburg“. Potsdam 2014, S. 38–43.

[9] Enthalten in: Lehmann, Rudolf (Bearb.): Quellen zur Geschichte der Niederlausitz. T. 2 (= Mitteldeutsche Forschungen 68/2), Köln/Graz 1976, S. 1–126.

[10] Lehmann, Rudolf (Bearb.): Quellen zur Geschichte der Niederlausitz. T. 1. (= Mitteldeutsche Forschungen 68/1), Köln/Graz 1972, Nr. 365, S. 103.

[11] Ebd., Nr. 370, S. 104.

[12] Ebd., Nr. 376, S. 107.

 

Zitation:

Sascha Bütow: Luckau. Die „Hauptstadt“ der Niederlausitz und das Magdeburger Recht, in: Das Magdeburger Recht. Baustein des modernen Europa, 11.10.2023, https://magdeburg-law.com/de/magdeburger-recht/historische-staedte/luckau/

 

Bildnachweis:

Abb. 1: Wikimedia Commons (CC BY-SA 4.0), Foto: SchiDD

Abb. 2: Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0), Foto: Assenmacher

Abb. 3: Luckau, Niederlausitzmuseum , Foto: Kienzle/Oberhammer, Berlin