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Der Bernstein- und Getreidelieferant Europas:

Die Karriere des Gebiets an der Weichselmündung als bedeutender Handelsort reicht bis in die Zeit der Antike zurück. Hier begann die sogenannte Bernsteinstraße, eine der ältesten europäischen Handelsrouten, auf der das begehrte Harz, als „Tränen der Sonne“ verehrt, bis nach Rom und Ägypten geliefert wurde. Dank des Bernsteins erhielten auch die römischen Geschichtsschreiber Kunde vom Weichselfluss, den sie als Grenze zwischen germanischen, baltischen und slawischen Völkern beschrieben.

Der Name Danzigs/Gdańsk taucht in den historischen Quellen erstmals am Ende des 10. Jahrhunderts in der Vita sancti Adalberti auf. Der Prager Bischof Adalbert (amt. 982–997) setzte 997 von der Stadt Danzig („urbem Gyddanyzc“) aus auf die östliche Weichselseite über, um die Prußen zu missionieren. Nach dem dort erlittenen Märtyrertod kaufte der polnische Herzog und spätere König Boleslaus der Tapfere (Bolesław Chrobry, Herzog ab 992, König ab 1000 bzw. 1025, gest. 1025) den Heiden den Leichnam Adalberts ab, indem er den Toten mit Gold aufwiegen ließ. Der Herzog brachte die sterblichen Überreste des Märtyrers in den Dom zu Gnesen/Gniezno, wo er seitdem als Nationalheiliger Polens verehrt wird.

Danzig war der Hauptort einer zum polnischen Staatsverband gehörenden slawischen Herrschaft, aus der später das Herzogtum Pommerellen hervorging. Dieses wurde seit dem 12. Jahrhundert von der Dynastie der Samboriden regiert, die unter Herzog Swantopolk II. (reg. 1220–1266) die politische Unabhängigkeit von Polen erlangten. Swantopolk bemühte sich tatkräftig um den Ausbau seiner Hauptstadt Danzig. 1224 gründete er eine deutsche Kaufmannsstadt nach lübischem Recht, vermutlich schon am Ort der heutigen Rechtstadt, und 1227 holte er den Dominikanerorden in die Stadt. Zur Zeit Swantopolks besaß Danzig vier Siedlungsbereiche: die herzogliche Burg, eine Siedlung (Hakelwerk) der Fischer und Bernsteinsammler mit polnischem Recht, die Altstadt mit der Pfarrkirche St. Katharinen und die Kaufmannsstadt mit der Pfarrkirche St. Marien. Hier lebten drei Volksgruppen nebeneinander: Pomoranen, Prußen und Deutsche, wie bei der Beschreibung der Todesfeierlichkeiten für Swantopolk 1266 ausdrücklich erwähnt ist.

Nachdem mit Herzog Mestwin II. (reg. 1266–1294) 1294 die Dynastie der Samboriden ausgestorben war, kam es zu einem langwierigen Erbfolgestreit um den Besitz Danzigs und Pommerellens zwischen Polen, Brandenburg und dem Deutschen Orden. In diesem Konflikt konnte sich der Orden schließlich durchsetzen, wobei die Einnahme der Stadt Danzig 1308 den entscheidenden Moment bildete. Die polnische Seite verklagte danach den Orden wegen eines angeblichen Massakers, bei dem fast die gesamte Stadtbevölkerung (bis zu 10.000 Menschen) umgebracht worden sei, während die Deutschherren entgegneten, sie hätten lediglich 16 Verbrecher hingerichtet. Dieser mittelalterliche Propagandakrieg wirkt bis heute nach, wie sich an der unterschiedlichen Haltung der polnischen und deutschen Geschichtsschreibung zu diesem wirklichen oder vermeintlichen Massaker zeigt. Wo die historische Wahrheit liegt, ist schwer zu sagen, da schon die mittelalterlichen Quellen von starker Parteilichkeit geprägt sind und ein Durchdringen zur faktischen Wahrheit dadurch kaum mehr möglich erscheint.

Abb. 1: „Gezicht op de Poolse stad Gdansk“, Hendrik Donnet nach Samuel Donnet, 1785

Unter dem neuen Landesherrn kam es zu einem bedeutenden wirtschaftlichen Aufschwung. Im Laufe des 14. Jahrhunderts wuchs Danzig zur größten und reichsten Stadt des Ordenslands heran. Dabei achtete der Deutsche Orden streng darauf, eine Reihe von politischen und ökonomischen Vorrechten gegenüber der Stadt zu behaupten. Symbol der Ordensherrschaft wurde die anstelle der pommerellischen Herzogsburg errichtete Konventsburg des Deutschen Ordens an der Mottlau. Als ein weiteres Element der Herrschaftssicherung durch den Orden ist die „Umrechtung“ Danzigs vom lübischen zum Kulmer Recht 1343 anzusehen.

Keine Stadt im Ostseeraum verfügte im Spätmittelalter über eine derart ausdifferenzierte und komplizierte urbanistische Struktur wie Danzig. Der Ort bestand aus mehreren rechtlich eigenständigen Städten, zuzüglich besonderer Stadtteile. Dominiert wurde dieser städtische Organismus von der Rechtstadt, die als Zentrum des Fernhandels die Ökonomie und Politik Danzigs bestimmte. Nördlich davon lag die ältere, aber politisch und wirtschaftlich weit weniger bedeutendere Altstadt. Diese verfügte dennoch über ein eigenes Stadtrecht und einen Rat, ebenso wie die nordöstlich anschließende, 1380 nach Kulmer Recht gegründete Jungstadt (1455 abgebrochen). Westlich der Rechtstadt erstreckte sich die vom Handwerk geprägte Vorstadt, die keinen eigenen Rat stellte, aber immerhin einen selbstständigen Pfarrbezirk bildete. Der Rechtstadt zugeordnet war schließlich noch die östlich davon gelegene ausgedehnte Speicherinsel, das Wahrzeichen der Danziger Handelsmacht, auf der sich bis zu 300 große Magazinhäuser der Danziger Kaufleute befanden. Der Vorrang der Rechtstadt gegenüber den anderen Städten und Stadtteilen zeigte sich auch daran, dass zunächst nur hier eine massive Stadtbefestigung bestand. Erst am Beginn der Frühen Neuzeit wurde der gesamte Stadtorganismus durch zusammenhängende moderne Befestigungswerke geschützt, die Danzig bis zum 18. Jahrhundert in ein uneinnehmbares Bollwerk verwandelten.

Abb. 2: Lageplan der Stadt Danzig um 1400, A = Altstadt, B = Rechtstadt, C = Vorstadt, D = Deutschordensburg, E = Speicherinsel, F = Jungstadt, 1 = St. Katharinen, 2 = St. Nikolai (Dominikaner), 3 = St. Marien, 4 = St. Johann, 5 = St. Peter und Paul (Plan Christofer Herrmann)

Die Bedeutung Danzigs lässt sich auch an der Sakraltopografie der Stadt ablesen. Um 1400 gab es im gesamten städtischen Siedlungsbereich fünf Pfarreien, zwei in der Rechtstadt (St. Marien, St. Johannis) und je eine in der Altstadt (St. Katharinen), der Jungstadt (St. Bartholomäus) und der Vorstadt (St. Peter und Paul). Daneben existierten drei Klöster der Bettelorden: eines der Dominikaner in der Rechtstadt, eines der Franziskaner in der Vorstadt und eines der Karmeliter in der Jungstadt (nach 1455 in die Altstadt verlegt). Hinzu kam noch das große Doppelkloster der Birgitten in der Altstadt. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang auch das bedeutende Zisterzienserkloster Oliva/Oliwa, nördlich vor den Toren Danzigs gelegen. Im Ostseeraum konnte nur Lübeck eine vergleichbare Fülle an kirchlichen Einrichtungen vorweisen.

Trotz oder gerade wegen des enormen wirtschaftlichen Aufstiegs wuchs am Beginn des 15. Jahrhunderts die Unzufriedenheit der Danziger Bürgerschaft mit ihrem mächtigen Landesherrn. Besonderen Anstoß bei den Kaufleuten erregte der Umstand, dass der Deutsche Orden selbst umfangreich Handel trieb und verschiedene Privilegien und Monopole (zum Beispiel den Bernstein- und Salzhandel) für sich beanspruchte. Nach der verlorenen Schlacht bei Tannenberg/Stębark (1410, im Polnischen Bitwa pod Grunwaldem) musste der Orden neue Steuern erheben, um die Kriegsschulden bezahlen zu können. Dies verschlechterte seine Beziehung zu Danzig noch mehr, sodass die Stadt eine Führungsrolle in der ständischen Oppositionsbewegung des 1440 gegründeten Preußischen Bunds einnahm. 1454 erklärten Danzig und der Bund ihrem Landesherrn den Krieg. Die Danziger Ordensburg wurde erstürmt und dem Erdboden gleichgemacht. Die Aufständischen erkannten den polnischen König Kasimir IV. (reg. 1447–1492) als neuen Schutzherrn an und huldigten diesem. Der Krieg mit dem Deutschen Orden dauerte noch bis 1466, als im ersten Thorner Frieden die Oberherrschaft Polens über Danzig bestätigt wurde.

Durch die Verbindung mit der polnischen Adelsrepublik eröffneten sich Danzig neue wirtschaftliche Perspektiven und Möglichkeiten. Der gesamte über See abgewickelte Außenhandel Polens lief über Danzig, eine Monopolstellung, die der Stadt fast unermessliche Einkünfte verschaffte. Das Hauptexportgut bildete Getreide, das aus ganz Polen über die riesigen Danziger Speicher nach Europa verkauft wurde. Die Bevölkerungszahl wuchs vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Expansion im 16. Jahrhundert auf etwa 55.000, hinzu kam ein fast 650 Quadratkilometer großes Umland mit 70 Dörfern, sodass Danzig quasi den Charakter einer ausgedehnten Stadtrepublik erhielt. Der königliche Schutzherr nahm, abgesehen von der frühen Reformationszeit, keinen entscheidenden Einfluss auf die Stadtpolitik. Danzig und Polen waren eine für beide Seiten lohnende Symbiose eingegangen: Polen gewährte der Stadt großzügige Freiheiten und Privilegien, Danzig füllte im Gegenzug die königliche Kasse und leistete häufig militärischen Beistand. Dieses Bündnis erwies sich so lange als erfolgreich, wie beide Partner stark waren, also vom mittleren 15. bis zum 17. Jahrhundert.

Abb. 3: Marienkirche in Danzig (Foto Christofer Herrmann)

Einen besonderen Konfliktpunkt bildete allerdings die Konfessionsfrage. Unter den Einwohnern Danzigs fanden die reformatorischen Ideen schnell Verbreitung, schon 1520 wurden hier erste Schriften Luthers gedruckt und ab 1523 in der Marienkirche im neuen Geist gepredigt. Unter dem Einfluss reformatorischer Prediger radikalisierten sich Teile der Bevölkerung, was 1525 zu einem Aufstand gegen das alte Stadtregiment führte. Der polnische König Sigismund I. (reg. 1507–1548) schlug die Revolte 1526 gewaltsam nieder, ließ deren Anführer hinrichten und den Protestantismus verbieten. Der Sieg der Katholiken währte jedoch nur kurze Zeit, denn Danzig wandte sich bald wieder der Lehre Luthers zu, was König Sigismund II. August (reg. 1548–1572) 1557 endgültig anerkennen musste.

Mit dem politischen und wirtschaftlichen Niedergang der polnischen Adelsrepublik sank im 18. Jahrhundert auch der Stern Danzigs. Das einst mächtige Handelsbündnis der Hanse erlosch, gleichzeitig begann die polnische Adelsrepublik in sich zusammenzufallen. Als Danzig im polnischen Erbfolgekrieg 1734 König Stanislaus Lesczyński Schutz bot, stand sie plötzlich allein im Machtkampf mit Russland und dessen sächsischen Verbündeten. Eine russische Belagerung zwang die Stadt zur Kapitulation, und erstmals seit der Eroberung durch den Deutschen Orden 1308 musste sich Danzig einem mächtigeren Gegner ergeben. Diese Niederlage bedeutete das Ende Danzigs als eigenständiger Machtfaktor im Nordosten Europas. Die Zerstörungen und Kriegsschulden lasteten noch lange auf der Stadt und sie wurde, wie die ganze Adelsrepublik, zum Spielball der benachbarten Großmächte. Der Abstieg in die wirtschaftliche und politische Bedeutungslosigkeit war unaufhaltsam und gipfelte in den polnischen Teilungen. 1793 musste sich Danzig schließlich als einfache Provinzstadt in das Königreich Preußen eingliedern lassen.

Autor: Christofer Herrmann

 

Weiterführende Literatur:

Edmund Cieślak (Hg.): Historia Gdánska [Geschichte Danzigs], Bd. 1, do roku 1454 [bis zum Jahr 1454], Gdańsk 1978.

Edmund Cieślak (Hg.): Historia Gdánska [Geschichte Danzigs], Bd. 2, 1454–1655, Gdańsk 1982.

Reinhold Curicke: Der Stadt Danzig Historische Beschreibung, Amsterdam/Danzig 1687.

Edmund Kizik: Danzig, in: Handbuch kultureller Zentren der Frühen Neuzeit, Bd. 1, hg. v. Wolfgang Adam u. Siegrid Westphal, Berlin 2013, S. 275–326.

Paul Simson: Geschichte der Stadt Dan­zig, Bd. 1, von den Anfängen bis 1517, Danzig 1913.

Paul Simson: Geschichte der Stadt Dan­zig, Bd. 2, von 1517 bis 1626, Danzig 1917.

Zitation:

Christofer Herrmann: Gdańsk/Danzig. Der Bernstein- und Getreidelieferant Europas, in: Das Magdeburger Recht. Baustein des modernen Europa, 09.06.2020, https://magdeburg-law.com/de/magdeburger-recht/historische-staedte/gdansk-danzig/

Der Beitrag ist bereits in ähnlicher Form erschienen in: Gabriele Köster und Christina Link (Hg.): Faszination Stadt. Die Urbanisierung Europas im Mittelalter und das Magdeburger Recht (Katalog zur gleichnamigen Sonderausstellung vom 1.September 2019 – 2.Februar 2020), Dresden 2019, S. 244–248.

Bildnachweis:

Abb.1: picryl.com