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Emanzipierte Frauen gegen eine emanzipierte Bürgerschaft

Die über 1100-jährige Geschichte Quedlinburgs erzählt von bedeutenden Osterfesten, weiblich-geistlicher Herrschaft, Rechtsordnungen zwischen dem Magdeburger und dem Goslarer Stadtrecht sowie schwerwiegenden Konflikten zwischen den Äbtissinnen und der aufstrebenden Bürgerschaft.

Abb. 1: Die Stiftskirche St. Servatius auf dem Schlossberg mit Stiftsgebäuden

Erste Siedlungsspuren bestehen für Quedlinburg bereits für die Altsteinzeit, besondere Bedeutung erlangte der Ort jedoch erst unter der Herrschaftsdynastie der Ottonen: 922 erstmals urkundlich als „Quitilingaburg“ erwähnt, wurde ab 926 verstärkt der Ausbau einer Königspfalz in Quedlinburg betrieben. Belegt ist, dass die Ottonen – insbesondere Heinrich I. (reg. 919–936) und Otto I. (reg. 936–973) – außergewöhnlich viele Osterfeste in Quedlinburg abhielten und hier vermutlich auch die Hochzeit Ottos I. mit der angelsächsischen Königstochter Editha stattfand. 929 erhielt Königin Mathilde († 968) von ihrem Ehemann König Heinrich I. Quedlinburg als Wittum, das zu ihrer Versorgung als Witwe dienen sollte. Darüber hinaus ist Heinrich I. auf seine eigene Verfügung in der Pfalzkapelle auf dem Schlossberg begraben. 936 gründete Mathilde mit Zustimmung ihres Sohns Otto I. ein dem heiligen Servatius geweihtes Kanonissinnenstift, dessen zentrale Aufgabe in der Pflege der memoria der ottonischen Königsfamilie bestand. Somit stellte Otto I. das rituelle Totengedenken für seine Familie sicher und machte Quedlinburg mit der Stiftsgründung zu einem der wichtigsten ottonischen Memorialorte. Otto I. erwirkte außerdem vom Papst die Exemtion des Stifts. Damit unterstand das Stift nicht mehr dem Diözesanbischof, in diesem Fall dem Bischof von Halberstadt, sondern direkt dem Papst. Unter Mathilde wurde die Stiftskirche zu einer der wichtigsten und am reichsten ausgestatteten Kirchen des Reichs.

Der Begriff Stift beschreibt einerseits eine Körperschaft im Bereich der Kirche, die mit einer Stiftung, i.d.R. Grundbesitz, ausgestattet ist. Andererseits definiert der Begriff auch die geistliche Gemeinschaft von Menschen, die innerhalb des Stifts leben und deren Beschäftigung die geistliche Ausübung ihres Glaubens ist. Diese Personen legen kein Ordensgelübde ab, sondern leben nach ihrer eigenen Ordnung in einer Gemeinschaft.

Heinrichs I. Witwe Mathilde erhielt mit Zustimmung ihres Sohns Otto I. und ihres Enkelsohns Otto II. (reg. 961–983) die Rechtsbefugnisse über weitere Teile der Stadt, inklusive zusätzlicher Kirchen und dem Königshof. Nach dem Tod Ottos II. wurde Quedlinburg auch zum Residenzort der Königinnenwitwen Adelheid und Theophanu. 994 erhielt die erste Äbtissin des Damenstifts Mathilde (amt. 966–999) als Tochter Ottos I. von Otto III. (reg. 983–1002) die Markt-, Münz- und Zollverleihung-, sowie weitere Privilegien für die Quedlinburger Kaufleute. Somit war das Stift im Besitz der Herrschaftsrechte über Markt und Stadt. In dieser Urkunde wird Quedlinburg ferner als metropolis bezeichnet, ein Begriff, der eigentlich eine gängige Bezeichnung für einen Erzbischofssitz ist. Dies deutet auf die herausragende Bedeutung der Stadt und des Stifts hin.[1] Im Jahr 997 agierte Äbtissin Mathilde auch als Reichverweserin für Otto III., der sich in Italien aufhielt. Somit hatte sie die Befugnis, das Reich während Ottos Abwesenheit zu verwalten und sogar einen Reichstag einzuberufen. Im 10. Jahrhundert war zudem eine verstärkte Bautätigkeit um die Burganlage und Kirchen herum zu verzeichnen. Handwerker und Kaufleute, die für den Bau und die Unterhaltung der Königspfalz benötigt waren, siedelten sich an.

Abb. 2: Das Quedlinburger Rathaus

Das Leben und Arbeiten dieser Handwerker und Kaufleute und ihrer Familien in Quedlinburg erforderte Regeln für das wirtschaftliche und soziale Zusammenleben, was schließlich in die Entstehung bestimmter Rechte mündete. So gestattete Kaiser Konrad II. (reg. 1024–1039) 1038 den Quedlinburger Kaufleuten nach den Rechten zu leben, nach denen auch die Kaufleute in Magdeburg und Goslar lebten. Diese Rechte wurden 1040 durch Heinrich III. (reg. 1039–1056) und erneut 1134 durch Lothar III. (reg. 1125–1137) bestätigt. Die neuentstandene Bürgerschaft brauchte eine Vertretung ihrer Rechte und Interessen in der Stadtpolitik. Ein Rat der Bürgerschaft, der seine eigenen Bürger besteuern darf, ist urkundlich 1229 erstmals erwähnt. Die älteste erhaltene Urkunde dieses Rates stammt aus dem Jahr 1277. Ein Rathaus ist ab 1310 nachweisbar. Die emanzipatorischen Bestrebungen der Bürgerschaft reichten so weit, dass die Äbtissinnen dem Rat im 13. und 14. Jahrhundert weitere Befugnisse in verschiedenen „Begnadigungsbriefen“ verliehen. Der Rat erstritt sich hierin auch das Mitspracherecht in geistlichen Fragen, wie beispielsweise ab 1265 bei der Pfarrerwahl und ab 1298 bei der Bestimmung eines Prokurators, der auch mit für die Gestaltung der Gottesdienste und der Bildung verantwortlich war.[2] Anfang des 14. Jahrhunderts begehrte die Quedlinburger Bürgerschaft immer mehr auf, was in eine Auseinandersetzung mit Graf Albrecht II. von Regenstein (reg. 1310–1349) mündete. Die Vogtei über Stift Quedlinburg war Ende des 13. Jahrhunderts an die Grafen von Regenstein gefallen, die auch mit dem Bau einer Burg nahe Quedlinburg versuchten, ihre Herrschaftskompetenzen über die Stadt auszuweiten. Albrecht II. von Regenstein zog mit Steuererhöhungen und weiteren Ausweitungen seiner Macht den Zorn der Quedlinburger Bürger auf sich, was schließlich sogar in der Gefangennahme des Grafen durch die Quedlinburger Bürgerschaft endete. Die Stadt verbündete sich zudem mit anderen Städten, um ihre Interessen zu stärken: 1326 ging Quedlinburg ein Bündnis mit den bischöflichen Städten Halberstadt und Aschersleben ein, 1384 trat die Stadt dem niedersächsischen Städtebund und 1426 der Hanse bei. Für 1432 ist das Aufstellen des Rolands in Quedlinburg verzeichnet.

Mit dem Aufstreben des Bürgertums bahnte sich auch der Konflikt mit der Äbtissin als eigentliche Herrscherin des eigenständigen Stiftsterritoriums an. Im 13. und 14. Jahrhundert gab es wirtschaftliche Schwierigkeiten und Auseinandersetzungen mit den Stiftsvögten und dem Bischof von Halberstadt, die jedoch in der Anerkennung der Exemtion des Stifts endeten. Dennoch übernahm der Rat 1396 von den Stiftsvögten und der Äbtissin die Vogtei über die Stadt. 1476/77 versuchte Äbtissin Hedwig (amt. 1458–1511) – die Tochter Kurfürst Friedrichs von Sachsen – die Autonomie der Bürgerschaft einzuschränken. Schließlich wurde Quedlinburg 1477 von sächsischen Truppen erobert. Der Roland wurde gestürzt, der Rat musste die Äbtissin als Landesherrin anerkennen und alle Privilegien an sie zurückgeben. Die Stadt musste außerdem aus allen Städtebündnissen austreten und die Wahl des Bürgermeisters und des Rats konnte nur noch mit der Zustimmung der Äbtissin erfolgen. Der Rat durfte nur noch Satzungen und Polizeiordnungen erlassen und die Stadt musste hohe Entschädigungszahlungen an die Äbtissin leisten.

Abb. 3: Der Quedlinburger Roland

Mit der Reformation wurde Quedlinburg 1539 zum freien, evangelischen, weltlichen Stift, das auch auf dem Reichstag stimmberechtigt war. Seit 1663 hatte es zudem einen Sitz auf dem Reichstag und war im Rheinischen Reichsprälatenkollegium im Zusammenschluss mit anderen Reichsprälaten stimmberechtigt im Heiligen Römischen Reich. Seit 1815 gehörte Quedlinburg zu Preußen. Der Roland wurde erst 1869 wieder aufgestellt.

Die Stadtgeschichte Quedlinburgs im Mittelalter ist so vielseitig wie ihre Rechtsgeschichte: Welches Stadtrecht in Quedlinburg gegolten hat, ist nicht abschließend geklärt. So attestieren manche Historiker, dass in Quedlinburg im 13. und 14. Jahrhundert das Goslarer Stadtrecht gegolten hat[3], während anderen eine Rechtsauskunft des Goslarer Rates an Quedlinburg für das Ende des 13. Jahrhunderts und Auszüge aus einem Goslarer Stadtrecht im Quedlinburger Stadtbuch als Beweise für die Geltung des Goslarer Stadtrechts in Quedlinburg nicht ausreichen[4]. Darüber hinaus sind auch Sprüche der Magdeburger Schöffen im Quedlinburger Archiv erhalten. So beispielsweise eine im Auftrag des Quedlinburger Rates und Bürgermeisters an den Magdeburger Schöffenstuhl gestellte Rechtsauskunft um 1550, die einen Diebstahl durch eine Quedlinburger Bürgerin betrifft.[5] Da Anfang des 11. Jahrhunderts den Quedlinburger Kaufleuten dieselben Rechte ausgestellt wurden, wie den Magdeburger und Goslarer Kaufleuten, lässt sich auch vermuten, dass in Quedlinburg eine Mischform aus Goslarer und Magdeburger Stadtrecht gegolten hat. Es bleibt zu erforschen, ob solche Mischformen auch in weiteren Städten im Rechtsdreieck Goslar – Magdeburg – Braunschweig gegolten haben.

 

Autorin: Josephine Hame

 

Anmerkungen:

[1] Vgl. hierzu Reuling 1996.

[2] Vgl. Kasper 2014, S. 84.

[3] Schulze 1975, S. 378.

[4] Pötschke 2017, S. 45.

[5] Vgl. Koch 1996.

 

Literatur:

Stephan Freund: Symbolischer Ort – symbolische Handlungen. Quedlinburg als königlicher Aufenthaltsort (10.-12. Jahrhundert), in: Das dritte Stift. Forschungen zum Quedlinburger Frauenstift, hg. v. Stephan Freund u. Thomas Labusiak, Essen 2017, S. 59–84.

Tobias Gärtner: Archäologische Quellen zur Entwicklung von Stadt und Stift Quedlinburgvom 10. bis zum 13. Jahrhundert, in: Das dritte Stift. Forschungen zum Quedlinburger Frauenstift, hg. v. Stephan Freund u. Thomas Labusiak, Essen 2017, S. 33–57.

Peter Kasper: Das Reichsstift Quedlinburg (936–1810). Konzept – Zeitbezug – Systemwechsel, Göttingen 2014.

Petra Koch: Magdeburger Schöffenspruch – Bestrafung einer Bürgerin aus Quedlinburg, Kat.-Nr. 2.35, in: Hanse – Städte – Bünde. Die sächsischen Städte zwischen Elbe und Weser um 1500, Bd. 2: Katalog, hg. v. Matthias Puhle, Magdeburg 1996, S. 90.

Maik Lehmberg: Das Recht der Handwerker im Goslarer Ratskodex, in: Stadtrechte, Willküren und Polizeiordnungen, hg. v. Dieter Pötschke, Berlin 2017, S. 139–162.

Gerhard Lingelbach: „Von erve, veltgudern, tinse, lifftucht“. Zum Erbrecht im Wernigeröder und Goslarer Stadtrecht, in: Stadtrechte, Willküren und Polizeiordnungen, hg. v. Dieter Pötschke, Berlin 2017, S. 101–111.

Quellen zur städtischen Verwaltungs-, Rechts- und Wirtschaftsgeschichte von Quedlinburg vom 15. Jahrhundert bis zur Zeit Friedrichs des Grossen, Tl. 1., Bd. 44, bearb. v. Hermann Lorenz, Halle a. d. Saale 1916.

Werner Paravicini (Hg.): Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. Ein dynastisch-topographisches Handbuch. Tl. 1: Dynastien und Höfe, Ostfildern 2003.

Dieter Pötschke: Wernigerode im Goslarer Stadtrechtsraum. Die Stadtrechte von Goslar und Wernigerode im Vergleich, in: Stadtrechte, Willküren und Polizeiordnungen, hg. v. Dieter Pötschke, Berlin 2017, S. 112–138.

Dieter Pötschke: Zur Ausstrahlung des Goslarer Rechts auf andere Städte, in: Stadtrechte, Willküren und Polizeiordnungen, hg. v. Dieter Pötschke, Berlin 2017, S. 27–51.

Ulrich Reuling: Quedlinburg: Königspfalz – Reichsstift – Markt. in: Deutsche Königspfalzen. Beiträge zu ihrer historischen und archäologischen Erforschung. Bd. 4: Pfalzen – Reichsgut – Königshöfe, hg. v. Lutz Frenske, Göttingen 1996, S. 184–247.

Michael Scholz: Vom Reichsvogt zum Stadtvogt. Zur Geschichte eines Amtes und der Goslarer Gerichtsverfassung im Mittelalter, in: Stadtrechte, Willküren und Polizeiordnungen, hg. v. Dieter Pötschke, Berlin 2017, S. 61–78.

Theresa Schröder-Stapper: Fürstäbtissinnen. Frühneuzeitliche Stiftsherrschaften zwischen Verwandtschaft, Lokalgewalten und Reichsverband, Köln, Weimar, Wien 2015.

Hans K. Schulze: Quedlinburger Urkundenstudien, in: Studien zur Geschichte des Mittelalters. Jürgen Petersohn zum 65. Geburtstag, hg. v. Matthias Thumser, Annegret Wenz-Haubfleisch u. Peter Wiegand, Stuttgart 2000, S. 62–73.

Berent Schwinekörper: Königtum und Städte bis zum Ende des Investiturstreits. Die Politik der Ottonen und Salier gegenüber den werdenden Städten im östlichen Sachsen und Nordthüringen, Sigmaringen 1977.

Frank Weissenborn: Strafrecht im Goslarer Ratskodex, in: Stadtrechte, Willküren und Polizeiordnungen, hg. v. Dieter Pötschke, Berlin 2017, S. 163–177.

 

Zitation:

Josephine Hame: Quedlinburg. Emanzipierte Frauen gegen eine emanzipierte Bürgerschaft, in: Das Magdeburger Recht. Baustein des modernen Europa, 25.09.2023, https://magdeburg-law.com/de/magdeburger-recht/historische-staedte/quedlinburg/

 

Bildnachweis:

Abb. 1: Wikimedia Commons. Foto: A. Savin. Online: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Quedlinburg_asv2018-10_img48_Castle.jpg [Stand: 13.01.2023]

Abb. 2: Wikimedia Commons. Foto: Guido Rading. Online: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Quedlinburg_-_Altes_Rathaus_bei_Nacht.JPG?uselang=de [Stand: 13.01.2023]

Abb. 3: Wikimedia Commons. Foto: ArtMechanic. Online: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Quedlinburg_Roland.jpg?uselang=de [Stand: 13.01.2023]