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Ein Marktflecken mit beeindruckender Rechtshistorie

Jerichow und das den Ort umgebene Land gehörten Anfang des 12. Jahrhunderts zum Besitz der Grafen von Stade. Im Abstand weniger Jahre wurden die beiden Brüder Udo und Rudolf ermordet, so dass allein ihr Bruder Hartwig als jüngster Spross der Familie und männlicher Erbe neben seiner Mutter Richardis hinterblieb. Hartwig war jedoch für eine geistliche Laufbahn vorgesehen und hatte das Amt eines Domherrn in Magdeburg inne. In einem großen Stiftungsakt 1144 entschied er sich gemeinsam mit seiner Mutter einen Teil des Familienbesitzes der Gründung des Prämonstratenserklosters Jerichow zu widmen, das fortan zum Bistum Havelberg gehören sollte. Der weitaus größere Besitzteil mit der Burg Jerichow und dem umfänglichen dazu gehörenden Gebietes rechts und links der Elbe kam indes an das Erzbistum Magdeburg.

Abb. 1: Das Kloster Jerichow wurde 1148 wegen der Ruhestörung in der nahe gelegenen Siedlung an seinen heutigen Platz verlegt. (Foto Kulturstiftung Sachsen-Anhalt, Kloster Jerichow)

Den herrschaftlichen Mittelpunkt dieses Landes bildete die Burg Jerichow, die Sitz des gleichnamigen Adelsgeschlechts war und in deren Nähe sich im 12. Jahrhundert eine Siedlung mit regem Marktverkehr entwickelte. Jerichow lag an einer im Mittelalter frequentierten hansischen Handelsstraße, die Stralsund mit Magdeburg verband und als „rechte herstraße“ bezeichnet wurde.[1] Die sich aus dem Marktverkehr entwickelnde Hektik und der Lärm hatten die Prämonstratenser offenbar derart beeinträchtig, dass sie ihr Kloster in einigem Abstand zur Siedlung 1148 an einem ruhigeren Ort erneut aufbauten.[2] Die Siedlung Jerichow entwickelte sich zu einem 1259 erstmals so genannten „oppidum“ (Marktflecken), der in diesem Jahr mitsamt der Burg und dem Jerichower Land in den Besitz des Markgrafen Otto III. von Brandenburg überging.[3] Für die wirtschaftliche Prosperität des Ortes spricht, dass im Zusammenhang mit dieser zwischen Magdeburg und Brandenburg erfolgten Besitzübertragung in Jerichow ebenso eine Zollstelle sowie Münzstätte Erwähnung finden.

Die dichte Lage Jerichows an der Elbe barg stets Gefahren wie z.B. 1336 als der Fluss weiträumig über die Ufer trat und das Hochwasser große Teile des Ortes zerstörte.[4] Es folgte ein Wiederaufbau der Stadt, in dessen Folge wahrscheinlich der Längsmarkt entstand[5], der sich noch heute im Stadtbild zeigt. In diese Zeit des städtischen Umbaus fällt zugleich eine bedeutende besitzrechtliche Veränderung. 1334 gelangte der bekannte Glossator des Sachsenspiegels und spätere Hauptmann der Mark Brandenburg, Johann von Buch, in den Besitz von Haus (Burg), Weichbild (Marktsiedlung) und Land Jerichow, das er für 2.000 Mark brandenburgischen Silbers von Herzog Otto von Braunschweig einlöste.[6] Vor dem Hintergrund der Flutkatastrophe stellte Johann von Buch gemeinsam mit den Einwohnern Jerichows die Stadt auch rechtlich auf neue Grundlagen. So sollte auf Weisung des brandenburgischen Markgrafen Ludwig bei strittigen und nicht lösbaren Rechtsfällen innerhalb der Jerichower Bürgerschaft nicht die Stadt Burg um Rechtsurteile gebeten werden, sondern allein die Bürger der Neustadt Brandenburg („civibus ciuitatis nostre Noue Brandenburg“).[7] Diese mit fürstlichem Nachdruck formulierte Anordnung sollte die Stellung des Brandenburger Schöffenstuhls stützen, der seine Rolle als Oberhof im Gebiet der Markgrafen von Brandenburg zu behaupten gedachte.

Abb. 2: Stadtkirche in Jerichow (wikimedia commons, Foto Olaf Meister)

Neben dem Stadtgericht befand sich in Jerichow ein Landgericht, das unter dem Vorsitz des Herrn von Jerichow zusammenkam und für Adel und Bauern des Jerichower Landes zuständig war. Als Inhaber Jerchows saß demnach Johann von Buch selbst diesem Gericht vor und verhalf in Hinblick auf die hier zur Anwendung kommenden Rechtsprechung einigen bedeutenden formalen Regelungen zur Umsetzung. Markgraf Ludwig ordnete folglich an, dass alte und als verboten geltende Rechtsgewohnheiten des Landes („antiquam et reprobatam terre conswetudinem“) abgeschafft und im Jerichower Landgericht nicht praktiziert werden sollten.[8] Stattdessen mussten das Kaiserrecht („ius imperiale“) und das sächsische, hauptsächlich im Sachsenspiegel wiedergegebene Recht („privilegium Saxonicum“) beachtet werden. Nach Bernd Kannowski ist die Jerichower Urkunde des Jahres 1336 damit ein anschaulicher Beleg für das Bemühen Johanns von Buch, beide Rechte in Einklang zu bringen, wie er es mit seiner Glosse zum Sachsenspiegel versuchte.[9] Im Jerichower Landgericht sollte dieses Prinzip zur praktischen Umsetzung gelangen. Ob sich hieraus eine Kontinuität entwickelte ist nicht überliefert und angesichts der weiteren Besitzgeschichte Jerichows eher unwahrscheinlich.

1351 gelangte Jerichow nach einem mehrjährigen Krieg gegen den Markgrafen von Brandenburg als Pfand an das Erzbistum Magdeburg. Mit der drei Jahre später erfolgenden Aussöhnung beider Parteien nahm Erzbischof Otto Jerichow anschließend in vollen Besitz.[10] Die oft hohe Geldverschuldung der Magdeburger Erzbischöfe bewirkte jedoch, dass die Burg Jerichow, seit 1367 erzbischöfliches Amt, mitsamt der Stadt immer wieder an verschiedene Dienstleute und Herren verliehen bzw. verpfändet wurde.[11]

Abb. 3: Luftbild des so genannten Burgstalls in Jerichow. Anfang des 18. Jahrhunderts sind die Gebäude und Befestigungen der Burg Jerichow abgebrochen worden (Foto  Gregor Rom)

Die Stadt Jerichow wurde selbst nicht befestigt, obwohl das Privileg Markgraf Ludwigs 1336 dies ausdrücklich genehmigte. Es ist ferner nicht bekannt, wo die 1320 erstmals erwähnten Ratsherren und Schöffen Jerichows im Mittelalter tagten[12], denn über ein einen frühen Rathausbau oder Schöffenstuhl als Zentren der städtischen Politik und Rechtsprechung ist nichts aus den Quellen zu erfahren. Das noch heute genutzte Rathaus wurde erst im 19. Jahrhundert errichtet, nachdem ein älteres Rathaus 1877 abgebrannt war.[13] Wirtschaftlich blieb Jerichow in erster Linie ein Ackerbürgerstädtchen mit starkem Gewicht der Landwirtschaft. Daneben sind im Verlauf der Frühen Neuzeit Bierbrauer, Tabakhersteller und Branntweinbrenner belegt. Überregionale Bekanntheit erlangte Jerichow zudem aufgrund zahlreicher hier tätiger Schuster, die den Ruf der Stadt als „Schusterjerichow“ festigten.[14]

Autor: Sascha Bütow

Anmerkungen:

[1] Bruns, Friedrich/Weczerka, Hugo: Hansische Handelsstraßen. Textband (= Quellen und Darstellungen zur Hansischen Geschichte N.F. 12/2). Weimar 1967, S. 210.

[2] Winter, Franz: Die Prämonstratenser des zwölften Jahrhunderts und ihre Bedeutung für das nordöstliche Deutschland. Ein Beitrag zur Geschichte der Christianisierung und Germanisierung des Wendenlandes. Berlin 1865, S. 150.

[3] Fey, Hans-Joachim: Reise und Herrschaft der Markgrafen von Brandenburg (1134–1319) (= Mitteldeutsche Forschungen 84). Köln/Wien 1981, S. 211.

[4] Küster, Hansjörg: Die Elbe. Landschaft und Geschichte. München 2007, S. 181.

[5] Römer, Christof/Schwieneköper, Berent: Art. >Jerichow<, in: Handbuch der historischen Stätten Deutschlands. Bd. 11: Provinz Sachsen-Anhalt, hg. v. Berent Schwineköper. 2. Aufl. Stuttgart 1987, S. 228–230, hier S.229.

[6] Neumeister, Peter: Johann von Buch. Ein altmärkischer Rechtsgelehrter im Dienste der Wittelsbacher, in: Die Altmark von 1300 bis 1600. Eine Kulturregion im Spannungsfeld von Magdeburg, Lübeck und Berlin, hg. v. Jiří Fajz, Wilfried Franzen u. Peter Knüvener. Berlin 2011, S. 150–155, hier S. 152.

[7] Adolf Friedrich Riedel (Hg.): Codex Diplomaticus Brandenburgensis, Reihe B, Bd. 2, Berlin 1845, Nr. 732, S. 104f, hier S. 104.

[8] Ebd., S. 105.

[9] Kannowski, Bernd: Die Umgestaltung des Sachsenspiegelrechts durch die Buch’sche Glosse (= MGH Schriften 56). Hannover 2007, S. 87.

[10] Adolf Friedrich Riedel (Hg.): Codex Diplomaticus Brandenburgensis (wie Anm. 7), Nr. 980, S. 357f.

[11] Römer, Christof/Schwieneköper, Berent: Art. >Jerichow< (wie Anm. 5), S. 229.

[12] Adolf Friedrich Riedel (Hg.): Codex Diplomaticus Brandenburgensis, Reihe B, Bd. 1, Berlin 1845, Nr. 557, S. 463.

[13] Schmidt, Hanns H.F.: Zwischen Elbe und Havel. Wanderungen vom Fiener Bruch bis in die Prignitz. Leipzig 1990, S. 82. Eine Abbildung des älteren Rathauses findet sich bei Naumann, Rolf: Historische Zeitdokumente in Kirchturmkugeln, in: Lapidarium Jerichowense 4/2002, S. 46–63, hier S. 55.

[14] Hoffmann, Andreas: Berlin wird morgen abgebrannt. Die Geschichte eines Brandstifter-Pärchens samt ihres angerichteten Schadens. Berlin 1998, S. 25.

Zitation:

Sascha Bütow: Jerichow. Ein Marktflecken mit beeindruckender Rechtshistorie, in: Das Magdeburger Recht. Baustein des modernen Europa, 30.06.2021, https://magdeburg-law.com/de/magdeburger-recht/historische-staedte/jerichow/