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Eine europäische Metropole des Magdeburger Rechts:

Die neue Stadtgründung nach dem Magdeburger Recht, verkündet am 5. Juni 1257 durch Herzog Bolesław V. den Schamhaften (reg. 1243–1279), gehörte für Krakau/Kraków zu den Ereignissen von fundamentaler Bedeutung. Obwohl sie vor allem ein juristisches und stadtplanerisches Unternehmen war, gingen von der Gründung wichtige Impulse für gesellschaftliche Veränderungen aus. In relativ kurzer Zeit wurde Krakau, das aus einer Herzogsburg und einer am Fuß der Burg angelegten Siedlung bestand, zu einer europäischen Metropole mit einem der wichtigsten Handelsplätze und einem bedeutenden selbstverwalteten politischen Zentrum.

Es ist selbstverständlich, dass Unternehmungen von solch gewichtigen Folgen nicht an einem Tag entstehen; die Vorbereitungen begannen viele Jahre früher. Der Plan entstand am Hof des Vaters von Bolesław V., Herzog Leszek dem Weißen (gest. 1227), und wurde dann von Heinrich dem Bärtigen (gest. 1238) sowie dessen Sohn fortgesetzt. Diese Herzöge, deren Herrschaft in die stürmischen Jahre des Kampfes um den Herzogsthron auf dem Wawelschloss fiel, erkannten in Krakau einen Garanten für ihre Position in ganz Polen. Vereinzelte, jedoch in ihrer Aussage eindeutige Quellen zeugen davon, dass sich in Krakau zwischen 1220 und 1241 die erste städtische Gemeinde formte, die nur von kurzer Dauer war und deren Niedergang mit der politischen Katastrophe – dem Fall der schlesischen Herrscherdynastie der Piasten – in Verbindung zu setzen ist (Mongoleneinfall in Polen 1241).

Wann traf Fürst Bolesław V. die Entscheidung, einen weiteren, diesmal breit angelegten Ansiedlungsversuch im weitgehend zerstörten Krakau zu unternehmen? Wie sehr war er an diesem gelungenen Projekt beteiligt? Die Protagonisten dieses epochalen Umbruchs der Stadtgeschichte werden in der auf Latein verfassten Lokationsurkunde erwähnt: „[W]ir versprechen unseren Vögten: Gedek, genannt Stilvoyt, Jakub, früher Richter in Neisse/Nysa, und Dytmar, genannt Wolk, die persönlich vor uns erschienen sind […].“ Die Neugründung Krakaus unterscheidet sich insofern von anderen Siedlungsunternehmungen, als dass der Herzog sogar drei Vögte engagiert hatte, um sie durchzuführen. Dies war offenbar ebenso der Größe der Aufgabe geschuldet, wie der Überzeugung, dass es sich um eine vielversprechende Investition handele.

Zwei von den drei in der Gründungsurkunde aufgeführten Vögten werden auch in anderen Quellen genannt: Gedko Stilwoyt und Dytmar Wolk waren eng mit Breslau/Wrocław verbunden. Gedko, mehrmals in städtischen Urkunden als Zeuge überliefert, war Besitzer einer Mühle an der Ohle und seit 1261 vermutlich Schöffe in Breslau. Der Rufname Stilwoyt scheint darauf hinzudeuten, dass er aus einer Breslauer Familie von Vögten stammte. Er war ein geschäftstüchtiger Mann, wahrscheinlich deutscher Abstammung, der sich in der städtischen Verwaltung gut auskannte. Dytmar Wolk erscheint ebenfalls in Breslauer Urkunden. Ob er mit dem dort Mitte des 13. Jahrhunderts genannten Dytmar Ruthenus (Ruthene) identisch ist, ist unsicher, möglicherweise leitet sich sein Rufname vom ruthenischen Wort „wolk“ (Wolf) ab. Der dritte Vogt, Jakub aus Neisse, wird in der Stadt Neisse im Jahr 1254 als Schultheiß genannt, war also ebenfalls mit Schlesien verbunden und machte dort seine Erfahrungen in Verwaltungs- und Rechtsbelangen. Alle drei verschwanden sehr schnell aus Krakau, wo bereits 1264 in einer Urkunde von Bolesław V. für die Stiftskirche St. Michael auf dem Wawelhügel der Krakauer Vogt Raszko genannt wird. Vermutlich verkauften Gedko, Dytmar und Jakub, nachdem sie ihre Aufgabe der Stadtgründung mit Erfolg beendet hatten, vom Herzog mit zahlreichen Geschenken und Privilegien bedacht, ihre Anteile in der Stadt und zogen weiter, wobei sie ihr nicht gerade geringes Vermögen noch vergrößerten. Welche Rolle Herzog Bolesław V. bei der Neugründung Krakaus spielte, ist nicht einfach festzustellen. Wenn er auch kein ausgeprägtes politisches Talent hatte, war er doch ein geschickter Verwalter. Besondere Bedeutung maß er der Entwicklung der Stadtbesiedlung bei. Außer Krakau, welches sein größter Erfolg war, gründete er Bochnia, Zawichost, Jędrzejów, Skaryszew und Nowy Korczyn. Konsequent nahm er ein Rechtsmodell für diese Städte an, das damals als ius Theutonicum (deutsches Recht) und heute in der Forschung als Magdeburger Recht bezeichnet wird.

Abb. 1: Der Wawel in Krakau mit der Burganlage der polnischen Könige und der Kathedrale (Foto Waldemar Ząbczyk)

Im Jahrbuch des Krakauer Kapitels der sogenannten Wawel-Kathedrale steht zum Jahr 1257: „Cracoviensis civitas iuri Theutonico traditur et situs fori per advocatos et domorum et curiarum immutatur“ (Die Stadt Krakau wurde dem deutschen Recht unterstellt, und die Lage von Plätzen, Häusern und Herrenhäusern wurde durch die Vögte verändert). Der Chronist, der die Aufzeichnungen des Jahrbuchs auf dem Wawelhügel – Symbol für den Sitz des Krakauer Kapitels – verfasste, befand von dieser „Höhe“ aus, dass die Geschehnisse in der Stadt erwähnenswert wären. Unser Vorteil gegenüber dem Verfasser des zitierten Textes besteht darin, dass wir heute den Umfang der in der Stadt vollzogenen stadtplanerischen, wirtschaftlichen, politischen, demografischen und auch sozialen Veränderungen aus einer Distanz von mehreren Jahrhunderten beurteilen können. Der Chronist beschrieb das, was er mit eigenen Augen sah: die großen Investitionen und die Umgestaltung der Stadt. Er konnte jedoch nicht vorhersehen, dass 760 Jahre später die 13 Millionen Touristen, die jedes Jahr den Krakauer Markt betreten, sein Erstaunen und seine Bewunderung für die stadtplanerische Weisheit und ästhetische Qualität der Anlage teilen würden. Auch war für ihn nicht absehbar, dass sich Krakau zu einem der wichtigsten internationalen Handelsräume im mittelalterlichen Europa entwickeln würde, aber ebenso zu einem zentralen Ort politischer Ereignisse und Schmelztiegel verschiedenster Kulturen. Der symmetrische, schachtbrettartig angeordnete Grundriss der Altstadt, die seit vielen Jahren zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört, ist heute eine der größten Touristenattraktionen.

Die Zeit, in der die Stadt Krakau unter Magdeburger Recht stand, zählt zu den besten Jahren ihrer Geschichte. Insgesamt waren es über 500 Jahre, von denen vor allem die erste Hälfte von außergewöhnlichen Entwicklungen und bedeutenden Leistungen gekennzeichnet war. Es kommt nicht oft vor, dass politische Organisationen und Körperschaften so lange ihre Wachstumsdynamik beibehalten. Erst das Gesetz „Von den Städten“, beschlossen durch den Großen Reichstag der Adelsrepublik (18. April 1791), das die bisherigen Grundsätze der Stadtverwaltung abschaffte, beendete dieses Kapitel in der Geschichte Krakaus. In den ersten Jahrzehnten nach 1257 florierte die Stadt und erfreute sich des Respekts und Wohlwollens der Krakauer Herzöge. Bereits der Nachfolger von Bolesław dem Schamhaften, Leszek der Schwarze (reg. 1279–1288), zeigte sich der Stadt für ihre Treue während des Aufstands der Ritterschaft 1285 erkenntlich und erteilte ihr im darauffolgenden Jahr das Privileg der Stadtbefestigung. Diese Holz-Erd-Befestigungsanlagen waren so wirksam, dass sie bereits 1287/88 der Stadt dabei halfen, einen weiteren Überfall der Mongolen auf Kleinpolen abzuwehren. Welch einen starken Platz dieses Ereignis im kollektiven Gedächtnis Krakaus einnimmt, bezeugt der alljährliche Brauch des tartarischen Kriegers Lajkonik, der auf einem Steckenpferd mit seinem Gefolge am achten Tag nach dem Fronleichnamsfest herumreitet.

Abb. 2: Florianstor in der Krakauer Altstadt (Foto Zygmunt Put)

Nach dem Tod des ohne Nachkommen verstorbenen Leszek dem Schwarzen und der vermutlichen Benennung des Breslauer Herzogs Heinrich IV. Probus (reg. 1288–1290) zu seinem Nachfolger blieben die Krakauer Bürger ihm in seinen Bemühungen um den Krakauer Thron treu. Nach dem frühen Tod des vielversprechenden Herrschers übernahm der böhmische König Wenzel II. (reg. 1278/1290–1305) den Krakauer Thron. Während seiner Herrschaft wurde die Stadtbefestigung durch eine steinerne Mauer ersetzt und der Umfang der städtischen Befestigung deutlich vergrößert. Ein Rest davon ist heute eines der Symbole Krakaus: das Florianstor. König Władysław Ellenlang (reg. 1306–1333 in Krakau, 1320–1333 als König von Polen), der 1306 Krakau einnahm und sich die Gunst der Krakauer Bürger sichern wollte, verlieh der Stadt im selben Jahr ein Privileg von fundamentaler Bedeutung für ihre wirtschaftliche Entwicklung: das Stapelrecht für Kupfer. Seit 1387 war Krakau Mitglied der Hanse und im Kreise dieser Verbindung von Handelsstädten unter dem Namen „das Kupferhaus“ bekannt.

Die Bürgerschaft Krakaus wurde bald zu einer politischen Macht und der politische Ehrgeiz ihrer Anführer zur Ursache des ersten ernsthaften Konflikts zwischen Stadt und Herzog. Im Mai 1311 mischten sich die Krakauer Bürger, vor allem Siedler deutscher Abstammung, in den politischen Streit um die Besetzung des Krakauer Throns ein, lehnten sich unter Führung des Vogts Albert gegen den Herzog Władysław Ellenlang auf und unterstützten seinen Gegenspieler, den Herzog Bolesław von Oppeln (reg. 1281–1313). Władysław ließ schließlich im Mai 1312 die Stadt besetzen und die Aufrührer hinrichten. Ein stummer Zeuge des Aufruhrs ist ein 693 Kilogramm schwerer Bleilaib, der aus jener Zeit stammt und 2005 bei archäologischen Ausgrabungen auf dem Hauptmarkt in Krakau gefunden wurde. Wahrscheinlich wurde er im Frühjahr 1312 von seinem Besitzer vergraben, der zu den Aufrührern gehörte und in Anbetracht der nahenden Niederlage sein Vermögen verstecken wollte. Vermutlich konnte er die Worte „soczewica miele, koło młyn“ nicht korrekt aussprechen. Laut Überlieferung ließ der Herzog auf diese Weise die deutsche Abstammung der Bürger überprüfen und diejenigen hinrichten, die an diesen schwierigen polnischen Wörtern sprachlich scheiterten. Nach der Niederschlagung des Krakauer Aufstands änderten sich die Machtverhältnisse in der Stadt. Das allmächtige Vogtamt wurde seines Vermögens und seiner Privilegien beraubt, und zum ersten Akteur wurde der Stadtrat. Der Herzog nahm zwar vielen Bürgern Leben und Vermögen, doch die wirtschaftlichen Privilegien der Stadt griff er nur vorübergehend an, gab sie 1320 schrittweise wieder zurück und verlieh ihr sogar neue. Sowohl er als auch sein Sohn Kasimir der Große (reg. 1333–1370) unterstützten weiterhin die Stadt, die eine wichtige Position in den politischen und wirtschaftlichen Plänen der letzten Piasten einnahm.

Abb. 3: Die Tuchhallen auf dem Krakauer Marktplatz (Foto Roman Polyanyk)

1320 wurde Władysław Ellenlang in Krakau zum König von Polen gekrönt. Seither war Krakau bis zum Ende der Monarchie die wichtigste Krönungsstadt der polnischen Könige. Jeder gekrönte König unternahm den ersten offiziellen Besuch seiner Herrschaft vom Wawel nach Krakau, wo er auf dem Hauptmarkt den Treueeid der Stadtbürger entgegennahm. In der Folgezeit wurde aus Krakau ein großes Handelsimperium, ein europäisches Finanzzentrum und ein wichtiges Produktionszentrum, in dem die Fleisch- und Lederverarbeitung die wichtigste Rolle spielten. Krakau beherrschte die Handelsmärkte für Kupfer und Blei, nahm einen zentralen Platz im Salz- und Leinenhandel ein, vermittelte zwischen anderen Handelspartnern im lukrativen Gewürzhandel mit der Levante, im Weinhandel mit Ungarn und im Eisenwarenhandel mit Österreich.

Auch die Bevölkerung wuchs mit dem wirtschaftlichen Aufschwung. Krakau hatte Mitte des 13. Jahrhunderts etwa 3.000 Einwohner. Schon 100 Jahre später lebten in der Stadt rund 12.000 Menschen. Diese Bevölkerungsentwicklung führte zu einer Ausweitung der Stadtsiedlung. Zuerst entstand 1335 am südlichen Stadtrand Krakaus eine neue Stadt namens Kasimir/Kazimierz, benannt nach ihrem Gründer, dem polnischen König Kasimir dem Großen. 1366 gründete er am Nordrand der Stadt eine neue Stadt namens Florencja. Sehr schnell erhielt sie einen anderen Namen, Kleparz, dessen Ursprung unklar ist. Auf diese Weise veränderte sich die civitas Krakau in eine dreistädtische Agglomeration. Mitte des 15. Jahrhunderts zählte diese Stadtsiedlung 20.000 Einwohner, Anfang des 16. Jahrhunderts wuchs ihre Zahl auf etwa 40.000. Die Position der Stadt wurde von weiteren Königen der Jagiellonen-Dynastie verstärkt: Sowohl Władysław II. Jagiello (reg. 1386–1434) als auch sein Sohn Kasimir (reg. 1447–1492) erweiterten die Privilegien der Stadt. Władysław verlieh Krakau 1387 das Recht des Straßenzwangs, das die Kaufleute dazu verpflichtete, auf ihren Reisen den Weg über Krakau einzuschlagen. Die erworbenen Privilegien wurden der Stadt in feierlicher Form von seinem Sohn mehrfach bestätigt, erstmals 1457. Festlicher Höhepunkt in der Geschichte Krakaus war der berühmte Krakauer Fürstentag von 1364, bei dem Mikołaj Wierzynek (Wirsing, gest. 1368) für die nach Krakau gekommenen Monarchen, Fürsten und andere Würdenträger ein Festmahl ausrichtete. Die Pracht und der Reichtum dieses Ereignisses wurden zum Thema mehrerer Historienbilder.

Das Magdeburger Recht ist bis heute in der Raumordnung der Stadt, ihrer Architektur, in den Verkehrsachsen und der Platzierung der Grünanlagen sichtbar. Diese Elemente sind mit Modernem verflochten: der Entwicklung von Tourismus, Gastronomie, Hotels und vielen anderen Unternehmen der Freizeitbranche. Das Krakau des Magdeburger Rechts ist wie ein logischer Algorithmus, der die Grundparameter für die Stadt und das kollektive Gedächtnis ihrer Bewohner darstellt. Auf dieser Basis entstehen die Gemeinschaft und die gesellschaftlichen Grundwerte, ohne welche eine Entwicklung nicht möglich ist. Man kann also mit einem Zitat aus der Gründungsurkunde vom 5. Juni 1257 schließen: „Da diese Gemeinschaft von Menschen, die natürlich ist und als solche gilt, Gerechtigkeit auf Erden walten lässt, so ist sie günstig für Alle, und der Gerechtigkeit selbst gleich.“

Autor: Michał Niezabitowski

 

Weiterführende Literatur:

Michał Niezabitowski: Geografia a historia Krakowa, warunki naturalne rozwoju Krakowa [Geografie und Geschichte Krakaus, natürliche Bedingungen der Entwicklung Krakaus], in: Kraków. Nowe studia nad rozwojem miasta [Krakau. Neue Studien zur Entwicklung der Stadt] (= Biblioteka Krakowska 150), hg. v. Jerzy Wyrozumski, Kraków 2007, S. 19–43.

Krzysztof Ożóg: Kultura umysłowa w Krakowie w XIV wieku: środowisko duchowieństwa świeckiego [Die geistige Kultur in Krakau im 14. Jahrhundert: die Kreise der Säkularkleriker], Kraków 1987.

Jerzy Rajman: Kraków: Zespół osadniczy, proces lokacji, mieszczanie do roku 1333 [Krakau: Siedlungsanlage, Gründungsprozess, Bürgerschaft bis zum Jahr 1333], Kraków 2004.

Marcin Starzyński: Krakowska rada miejska w średniowieczu [Der Krakauer Stadtrat im Mittelalter], Kraków 2010.

Jerzy Wyrozumski: Dzieje Krakowa [Geschichte Krakaus], Bd. 1, Kraków do schyłku wieków średnich [Krakau bis zum Ende des Mittelalters], Kraków 1992.

Zitation: 

Michał Niezabitowski: Kraków / Krakau. Eine europäische Metropole des Magdeburger Rechts, in: Das Magdeburger Recht. Baustein des modernen Europa, 10.06.2020, https://magdeburg-law.com/de/magdeburger-recht/historische-staedte/krakow-krakau/

Der Beitrag ist bereits in ähnlicher Form erschienen in: Gabriele Köster und Christina Link (Hg.): Faszination Stadt. Die Urbanisierung Europas im Mittelalter und das Magdeburger Recht (Katalog zur gleichnamigen Sonderausstellung vom 1.September 2019 – 2.Februar 2020), Dresden 2019, S. 232–236.

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Abb.2: wikimedia commons