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Kleine Hansestadt – selbstbewusste Bürgergemeinde:

Über die mittelalterliche Stadtgeschichte von Kyritz liegt vieles im Dunkeln. Nahezu der gesamte Bestand an Urkunden, Akten, Stadtbüchern und anderen Dokumenten ist durch verschiedene Brände im 17. und 18. Jahrhundert vernichtet worden. Hiervon sind ganz besonders Aussagen über die verfassungsrechtliche Entwicklung der Stadt betroffen. Wenig ist über die lokalen Rechtsgewohnheiten innerhalb der Stadtgemeinschaft bekannt. Gleichwohl können die bekannten Entwicklungen der städtischen Rechte in Kyritz und die Erweiterung seiner Privilegien aufgezeigt werden. Hieraus lässt sich das Bild einer selbstbewussten und um Erweiterung ihrer Privilegien bemühten Bürgergemeinde gewinnen.

Abb.1: Siegel des Rates der Stadt Kyritz (1476)

Kyritz entwickelte sich im Verlauf des 13. Jahrhunderts zu einer Rechtsstadt. Dieser Prozess erfolgte nicht ohne Zutun der Familie von Plotho, die während dieser Zeit die Stadtherrschaft innehatte. Dieses Geschlecht zählt zu den Ministerialen des Erzbischofs von Magdeburg und verfügte u.a. über grundherrlichen Besitz bei Altenplathow zwischen Jerichow und Genthin.[1] Landausbau und Christianisierung ermöglichten den Herren von Plotho den Ausbau einer unabhängigen Herrschaft in der Prignitz im Gebiet um Kyritz, das schon zu slawischer Zeit wichtige Mittelpunktfunktionen besaß.[2] Die Stadt selbst wurde um 1200 mit Förderung der Herren von Plotho planmäßig von der St. Nikolaikirche ausgehend neu angelegt. Auf ausdrücklichen Wunsch der Siedler hin, bekamen sie 1237 das Stendaler Recht verliehen, das eng mit dem Magdeburger verwandt war.[3] Die Stadt kennzeichnete damit eine ratsherrliche Verfassung, die es den Bürgern erlaubte, ihre Angelegenheiten rechtlich selbst zu regeln. Einen materiellen Ausdruck fand dieses Recht im Führen eines Siegels, mit dem Rechtsgeschäfte bestätigt wurden. Eine besonders schöne Ausführung des Kyritzer Ratssiegels hat sich an einer im Stadtarchiv Tallin überlieferten Urkunde aus dem Jahr 1467 erhalten. Es enthält die für die Familie von Plotho charakteristische Lilie in der Mitte des Siegelbildes.

Die landesherrliche Forschung schätzt, dass sich nach und nach etwa 1.000 bis 3.000 Menschen in Kyritz angesiedelt haben.[4] Innerhalb dieser Einwohnerschaft entwickelte sich während der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts eine florierende Wirtschaft. Ein anschauliches Beispiel hierfür ist ein aus dem Jahr 1245 stammendes Privileg der Herren von Plotho, mit dem diese die Rechte der örtlichen Gewandschneider bestätigten. Interessant ist, dass sie sich hierbei auf ein älteres aus Stendal stammendes Statut der dortigen Gewandschneidergilde beriefen („[…] fratres Gilde et incisores panui in stendal […]“).[5] Demensprechend stimmt der Wortlaut beider Urkunden mit Ausnahme der angepassten Personen- und Ortsnamen überein. Damit erwiesen sich die rechtlichen Gewohnheiten innerhalb der Stadt Stendal für Kyritz als vorbildhaft und wurden im Rahmen eines länger anhaltenden Rechtstransfers hierher übertragen. Die am Ende der Urkunde genannten und in Kyritz ansässigen „ehrenhaften“ Männer („honesti viri“), die als Zeugen der rechtlichen Aushandlung angeführt werden, dürften am Zustandekommen des Gewandschneiderprivilegs in der vorliegenden Form einen entscheidenden Anteil besessen haben. Auch dieses Indiz verdient Beachtung, da davon ausgegangen werden kann, dass stadtrechtliche Übertragungen oft zwischen Stadtherr und Bürgerschaft ausgehandelt worden sind.[6]

Abb.2: Marktplatz Kyritz, die Stadt wurde in der 1. Hälfte des 13. Jh. planmäßig angelegt, Spuren der mittelalterlichen Stadtanlage sind erhalten (Aufnahme 2015 W. Bulach)

Eine weitere Quelle, die über die Rechte der Stadt Kyritz Auskunft gibt, stammt aus dem Jahr 1259 und ist ebenfalls in Form einer Urkunde der Herren von Plotho überliefert. Sie betrifft in erster Linie den städtischen Handel, denn den Kyritzer Bürgern wurde mit der Urkunde bestätigt, die durch die Stadt fließende Jägelitz und ihre Nebenläufe bis zur Havel hin uneingeschränkt zu befahren. Diese Bestimmung bezog sich auf den vom Kyritzer Rat intendierten Handel, der in den Hanseraum gerichtet war und während der Schiffszeit auf dem Wasserweg stattfand. Ein wichtiges in der Urkunde genanntes Etappenziel markierte dabei der Ort Havelberg, wo ein markgräflicher Zoll entrichtet werden musste. Die Bürger der Stadt Kyritz hatten für jede hier vorbeigeführte Schiffslast eine Münze zu zahlen. Umgekehrt erhielten die Kyritzer Bürger die Versicherung, dass die von ihnen ausgeübte Schifffahrt durch nichts beeinträchtig werden durfte. Die Erlaubnis, die Jägelitz zu befahren, war ein für das noch junge Kyritz bedeutsames Recht, da ein Großteil des Warentransportes über diesen Fluss weiter in Richtung Havel und Elbe stattgefunden haben dürfte. Getreide, Holz und Tuch gehörten zu den vornehmlich nach Hamburg transportierten Gütern Kyritzer Händler und Fuhrunternehmer.

Abb.3: Durch Kyritz fließt die Jägelitz, im Mittelalter sicherte sich der Stadtrat wichtige Rechte: Schifffahrt, Mühlenwirtschaft und Fischerei (Ansicht um 1900)

Diese im Fernhandel tätigen Bürger erlebten wie auch die übrigen Einwohner von Kyritz in der Zeit zwischen 1259 und 1307 einen Wechsel der Stadtherrschaft. Während dieses Zeitraums muss es dem Markgrafen von Brandenburg gelungen sein, sich in den Besitz der Stadt Kyritz zu bringen, wobei genauere Details aufgrund der schon angesprochenen ungünstigen Quellenlage unbekannt bleiben. Ab 1325 jedoch ist Kyritz ganz sicher als landesherrliche Stadt anzusehen. Die tonangebenden Personen innerhalb der städtischen Politik waren vermögende Kaufleute, die wie in vielen anderen brandenburgischen Kommunen dieser Zeit Tuchhandel betrieben.[7] Sie griffen auf die Waren der Tuchmacher zu, die ihrerseits vom Handel mit dem Tuch größtenteils ausgeschlossen waren. Häufig begehrten sie aus diesem Grund gegen die Stadtregierung auf, wofür sich auch in Kyritz Beispiele finden. 1383 gelang es hier den Tuch- und Gewandmacher gegen die Vorrechte der Tuchschneider eine eingeschränkte Verkaufserlaubnis durchzusetzen.[8] Somit mussten sie weißes und graues Tuch nicht länger an Zwischenhändler abgeben, sondern durften es selbst auf Märkten anbieten. Kyritz ist damit ein typisches Beispiel für innerstädtische Konflikte um bürgerliche Rechte und politischer Teilhabe, die zumeist von Zünften, Quartiers- und Viertelmeistern in die Bevölkerung getragen worden sind. Mitte des 14. Jahrhunderts gelang es solchen Kräften, eine Mitbestimmung auf die Besetzung des Kyritzer Rates zu erlangen.[9]

Die Interessen des Kyritzer Rates waren nicht nur Bezug auf den Handel weit über die städtischen Grenzen gerichtet. In politisch-herrschaftlicher Hinsicht galt Ähnliches. So beteiligte sich die Stadt Kyritz 1325 am Zustandekommen eines Bündnisses zwischen Städten der Prignitz und verschiedenen in deren Umfeld lebenden Vertretern der märkischen Ritterschaft. Da wenige Jahre zuvor die in Brandenburg herrschende Dynastie der Askanier ausgestorben war, sah dieser Kreis nun die Notwenigkeit gekommen, rechtliche Sicherheit und die Aufrechterhaltung alter Privilegien selbst in gemeinsamer Verantwortung zu gewährleisten. Für den Fall rechtlicher Streitigkeiten oder der Infragestellung von Vorrechten wurde bestimmt, dass damit verbundene Schlichtungen so gehandhabt werden sollten, wie es zu Zeiten des Markgrafen („bi der marcgreuen tiden“) üblich war.[10] Diese und weitere Reglungen wurden zuvor auf einem Treffen in Kyritz zwischen den beteiligten Parteien ausgehandelt, so dass die Stadt zum Ausstellungsort der erwähnten Urkunde wurde. Hier spielte auch die Gewährleistung des Landfriedens eine große Rolle, der nicht nur 1325 thematisiert wurde, sondern ebenso 1363 den Anlass eines weiteren Treffens in Kyritz bot. Hieran nahm Herzog Albrecht von Mecklenburg ebenso teil wie Fürst Lorenz von Werle. Unzweifelhaft lässt dies erkennen, dass Kyritz als prosperierende Stadt alle nötigen Vorkehrungen zur Durchführung eines solchen Tages inklusive Einquartierung, Gästeversorgung und Unterhaltung ermöglichen konnte. Nicht zuletzt spiegelt sich hierin auch das Ansehen der kleinen Hansestadt und ihres selbstbewussten Bürgertums im Spätmittelalter wider.

Autor: Sascha Bütow

Anmerkungen:

[1] Christof Römer: Genthin, in: Handbuch der historischen Stätten, Bd. 11, Provinz Sachsen Anhalt, hg. v. Berent Schwineköper, 2. Aufl., Stuttgart 1987, S. 133–135, hier S. 133.

[2] Kerstin Kirsch: Slawen und Deutsche in der Uckermark. Vergleichende Untersuchungen zur Siedlungsentwicklung vom 11. bis zum 14. Jahrhundert, Stuttgart 2004, S. 76.

[3] Heiner Lück: Stadtrechte in der Altmark – ein Überblick, in: Sachsen und Anhalt 32 (2020), S. 41–77, hier S. 54.

[4] Lorenz Friedrich Beck: Die Prignitzstädte Perleberg, Pritzwalk, Kyritz und Havelberg und die Hanse, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 52 (2006), S. 89–152, hier S. 126.

[5] Adolf Friedrich Riedel (Hg.): Codex Diplomaticus Brandenburgensis, Reihe A, Bd. 1, Nr. II, S. 366–367, hier S. 366.

[6] Heiner Lück: Sächsisch-magdeburgisches Recht zwischen Elbe und Dnjepr, in: Kulturelle Vernetzung in Europa. Das Magdeburger Recht und seine Städte, hg. v. Gabriele Köster, Christina Link u. Heiner Lück, Dresden 2018, S. 13–27, hier S. 25–26.

[7] Herbert Helbig: Gesellschaft und Wirtschaft der Mark Brandenburg im Mittelalter, Berlin/New York 1973, S. 18–22.

[8] Hans Gressel: Die Stadt Kyritz. Entwicklung, Verfassung und Wirtschaft bis zur Städteordnung 1808/09, Berlin 1939, S. 93.

[9] Lorenz Friedrich Beck: Die Prignitzstädte (wie Anm. 4), S. 150.

[10] Riedel (wie Anm. 5), Nr. XXVI, S. 136–137, hier S. 137.

 

Zitation:

Sascha Bütow: Kyritz. Kleine Hansestadt – selbstbewusste Bürgergemeinde, in: Das Magdeburger Recht. Baustein des modernen Europa, 31.07.2020, https://magdeburg-law.com/de/magdeburger-recht/historische-staedte/kyritz/

Bildnachweise:

Abb.1: Tallin, Tallinna Linnaarhiiv Tallinna Magistraat TLA.230.1-II.107 (Tallinna Linnaarhiiv Tallinna Magistraat TLA.230.1-II.107, in: monasterium.net, URL </mom/EE-TLA/TallinnaMagistraat/TLA.230.1-II.107/charter>, accessed at 2020-07-27Z)

Abb.3: zeno.org