Seehausen / Altmark In Karte lokalisieren

Prosperierende Hansestadt mit raumgreifenden Rechten:

Seehausen wird 1174 erstmals erwähnt und 1196 als oppidum (Städtchen) bezeichnet. Die entstehende Bürgerschaft orientierte sich am Magdeburger Recht, passte es jedoch flämischen Einflüssen an, sodass mit dem sog. Seehausener Recht eine eigene Variante entstand. Diese wurde 1256 an die in der Prignitz gelegene Stadt Pritzwalk weitergegeben. Dort übernahm man 1355 ebenso das in Seehausen verwendete Statut der Fleischer.

Verhältnismäßig spät, erst 1321, folgt die Ersterwähnung von Schöffen und Ratsherren in Seehausen, die sich allerdings weitaus früher formiert haben dürften. Der Rat bemühte sich um die Ausweitung seiner rechtlichen Kompetenzen, was ihm 1335 v.a. mit dem Erwerb des Schultheißenamtes und des Stadtgerichts gelang. Damit wurde der Einfluss der konkurrierenden und mit dem Landesherrn verbundenen Rechtsprechung bei städtischen Angelegenheiten abgewehrt. Dies war zudem ein deutliches Zeichen städtischer Autonomie, die viele brandenburgische Städte im 14. Jahrhundert entfalten konnten.[1]

Abb. 1: Der historische Stadtkern von Seehausen ist in großen Teilen von Fachwerkhäusern geprägt.

Wirtschaftliche Prosperität erlangte Seehausen insbesondere durch Beziehungen zur Hanse. Am Fluss Aland gelegen, stand der Bürgerschaft der Schifffahrtsweg nach Hamburg offen. Die Schiffe passierten den Ort Boitzenburg, wo der Aland in die Elbe mündet und sich eine lukrative Zollstätte befand. 1371 ließ Herzog Albrecht II. von Mecklenburg hier ein aus Seehausen kommendes Schiff aufhalten. Bei einer Kontrolle der geladenen Fracht hatte man Waren entdeckt, die Magdeburger Bürgern gehörten und die nicht ordnungsgemäß verzollt worden waren. Entsprechende Markierungen fehlten. Dieses Vorkommnis lässt vermuten, dass das Magdeburger Stapelrecht auf dem Landweg bis Seehausen, wo die Waren auf das Schiff geladen wurden, umgangen worden war.[2] Das Schiff gehörte einem Seehausener Bürger namens Hein Fredeland, der sich als Fuhrunternehmer verdingte und unschuldig tat. Solche Dienstleistungen der Einwohner Seehausens waren wohl keine Seltenheit und verdeutlichen das wachsende Auskommen der Bürgerschaft. Eine Gewandschneidergilde ist in Seehausen für das Jahr 1460 belegt.

Abb. 2: Der Fluss Aland in Seehausen war im Mittelalter ein bedeutendes Objekt ratsherrlicher Gesetzgebung.

Der Seehausener Rat hatte am wirtschaftlichen Aufschwung großen Anteil. Er verfolgte fortwährend eine Erweiterung seiner Rechte. Dabei spielte der Ausbau des Handels eine wichtige Rolle, wie sich beispielhaft an dem Erwerb des sog. Kammerhofes (heute Kamps) an der Elbe erkennen lässt. Dieses Gut erhielt der Rat von Seehausen durch Markgraf Jost 1409 als Lehn. Es folgten mehrere Jahrzehnte systematischen Ausbaus als Umschlagplatz, dessen Besitz der Stadt durch Markgraf Friedrich II. 1449 bestätigt wurde.[3] Neben der Schifffahrt wurde am Kammerhof auch eine Fähre betrieben. Eine Burg diente der Überwachung des Verkehrs, erneuerte sowie ausgebaute Deiche sollten das Umland vor Überschwemmung bewahren. 1429 erwarb Seehausen in Ritfeld eine zweite Fähre an der Elbe, wodurch das Interesse des Rates am Flussverkehr erneut deutlich wird. Auf der Basis seiner Rechte und mit verschiedenen Baumaßnahmen schuf er eine wichtige Infrastruktur, die in städtischer Trägerschaft lag und für den zwischen Altmark, Prignitz und Havelland liegenden Raum erhebliche Relevanz entfaltete.

Weit über die Stadtgrenzen hinaus wirkte das 1340 bestätigte Recht der Seehausener Bürgerschaft, gegen Räuber und Friedensbrecher vorzugehen. Markgraf Ludwig verzichtete in diesem Zusammenhang sogar auf Bußzahlungen. Der Rat wachte ebenso über den Aland, dessen Nutzung mit dem Markgrafen abzustimmen war. 1481 führte dieser gegen eine Person Klage, die den Fluss unrechtmäßig mit einem Schiff befahren hatte.[4]

Als die Hohenzollern 1411/12 die Herrschaft als Markgrafen von Brandenburg antraten, bestätigte Friedrich I. Seehausen und den anderen altmärkischen Städten ihre jahrhundertealten Privilegien. Das Verhältnis zu den Landesherren blieb dennoch nicht ungetrübt. Wie Gardelegen, Stendal und weitere Bürgergemeinden in der Altmark musste auch Seehausen Eingriffe in die städtische Verfassung dulden. Dies betraf u.a. einen Streit um die Bierziese (Bierpfennig, Biersteuer) im Jahr 1488. Erneut 1502 griff der Landesherr in die Stadtverfassung Seehausens ein.[5]

Abb. 3: Das Beustertor in Seehausen demonstrierte bürgerliches Selbstbewusstsein und Wehrhaftigkeit.

Ein wichtiges rechtsgeschichtliches Zeugnis der Stadt Seehausen stellt das aus dem Mittelalter überlieferte Rechtsbuch dar, dessen Inhalt in nicht untypischer Weise gemischt ist und sowohl Grundstücksgeschäfte, erbliche Regelungen, Gerichtsprotokolle und Ratsstatute enthält. Diese über Seehausen hinaus wertvolle Quelle bietet spannende Einblicke in das gelebte Recht der altmärkischen Kleinstadt. Hier wird zudem deutlich, dass Rat und Schöffen Seehausens des Öfteren Anfragen an die Magdeburger Schöffen stellten und deren Urteile auf den Gerichtstagen vortrugen. Das Stadtgericht in Seehausen bestand neben dem Richter und den Schöffen auch aus Ratsherren und Bürgermeister. Über das Jahr verteilt, traten diese dreimal zu sog. Dingetagen zusammen. Wer es sich leisten konnte, hatte die Möglichkeit, durch Geldzahlungen weitere Dingetage einzuberufen.

Auf diese Weise schrieb beispielsweise eine wohl vermögendere Witwe vor Rat und Schöffen ihr Testament fest.[6] Teile ihrer Habe sowie Einkünfte wollte sie nach ihrem Tod verschiedenen Gotteshäusern vermachen, deren Geistliche dann für das Seelenheil der Stifterin und ihrer Verwandten beten sollten. Auch der Rat von Seehausen bekam Zuwendungen, ähnlich das Spital St. Gertrauden und die Heiligkreuzgilde der Stadt. Kleider, Kisten, Gewänder, Laken und Decken vermachte sie ihren Nichten, während weitere Kleidungsstücke des All- und Werktags als Spende an arme Einwohner Seehausens abgegeben werden sollten. Hiermit bestätigen sich sowohl zentrale Gewohnheiten des Magdeburger Rechts als auch eine im 15. Jahrhundert aufblühende Wohltätigkeit unter Laien.

Autor: Sascha Bütow

Anmerkungen:

[1] Dazu allgemein Jan Winkelmann: Die Mark Brandenburg des 14. Jahrhunderts. Markgräfliche Herrschaft zwischen räumlicher „Ferne“ und politischer Krise (= Studien zur brandenburgischen und vergleichendes Landesgeschichte 5), Berlin 2011, S. 168.

[2] Vgl. Sascha Bütow: Jeetzel – Aland – Stepenitz: Gedanken zur wirtschaftlichen Nutzung kleiner Flüsse im sogenannten hansischen Hinterland während des Spätmittelalters, in: Biuletyn Polskiej Misji Historycznej 14 (2019), S. 387–409, hier S. 397f.

[3] Adolf Friedrich Riedel (Hg.): Codex Diplomaticus Brandenburgensis, Reihe A, Bd. 6, Berlin 1846, Nr. 51, S. 373f.

[4] Georg Wilhelm Raumer: Das Gerichtsbuch der Stadt Seehausen in der Altmark, in: Allgemeines Archiv für die Geschichtskunde des preußischen Staates 13 (1834), S. 167–179, hier S. 172.

[5] Zu dieser Entwicklung allgemein Felix Escher: Die Mark Brandenburg unter den frühen Hohenzollern. Eine historische Einführung, in: Die Mark Brandenburg unter den frühen Hohenzollern. Beiträge zu Geschichte, Kunst und Architektur im 15. Jahrhundert 8, hg. v. Peter Knüvener u. Dirk Schumann (= Schriften der Landesgeschichtlichen Vereinigung für die Mark Brandenburg N.F. 5), Berlin 2015, S. 17–34, hier S. 32.

[6] Wie Anm. 4, S. 179.

 

Zitation:

Sascha Bütow: Seehausen. Prosperierende Hansestadt mit raumgreifenden Rechten, in: Das Magdeburger Recht. Baustein des modernen Europa, 08.12.2021, https://magdeburg-law.com/de/magdeburger-recht/historische-staedte/seehausen/

Bildnachweise:

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Abb.2: wikimedia commons, public domain, Foto: Ulamm

Abb.3: wikimedia commons, public domain, Foto: Karin Martin