Jüterbog: eine erzbischöfliche Marktgründung im Rahmen eines raumgreifenden Landesausbaus
Eine Reihe bedeutender Fürsten intensivierte in der Mitte des 12. Jahrhunderts im Norden des römisch-deutschen Reiches nach Osten gerichtete Siedlungsvorgänge in das Gebiet slawischer Stämme. Im Bereich der mittleren Elbe tat sich hier vor allem der Magdeburger Erzbischof Wichmann (amt. 1152–1192) hervor, der auf diese Weise seine Herrschaft in den Fläming hinein ausdehnte. Dabei galt ihm das Magdeburger Recht als eine wichtige Stütze zur Gründung von Marktstädten. Im Jahr 1174 ließ der Erzbischof für Jüterbog ein dementsprechendes Privileg ausstellen. Es sah die Etablierung eines Marktes nach Magdeburger Vorbild vor. Den Siedlern in Jüterbog erteilte Wichmann daraufhin dieselben Rechte, wie sie die Bürger Magdeburgs besaßen. Dieses so genannte ius fori in Juterbogk sollte wiederum als Muster weiterer Marktgründungen im weiträumigen Umland Jüterbogs dienen.[1] Damit wurde aus dem Magdeburger innerhalb der Urkunde ein Jüterboger Recht, das seine Ausbreitung erfahren sollte. In den Vorstellungen des Erzbischofs war Jüterbog Hauptort des gleichnamigen Landes (terra). Stadtrechtsverleihung und Landesausbau gingen in seinen Plänen eine enge Verschränkung ein.
Abb. 1: Erzbischof Wichmann von Magdeburg (Wichmannus Megideburgensis Epi[is]c[opus]. Detail einer in Magdeburg während seiner Amtszeit gegossenen Bronzetür für die Sophienkriche in Nowgorod, Abguss 12. Jahrhundert, Abguss 20. Jahrhundert.
Auf dieser Basis zeigte Wichmann großes Interesse an der Prosperität der noch jungen Marktsiedlung. Er stattete das bürgerliche Gemeinwesen in Jüterbog deshalb pro suis negociis agendis (in Sachen seiner Handelsangelegenheiten) mit umfangreichen Zollrechten in Magdeburg, Halle, Calbe an der Saale, Burg bei Magdeburg und Taucha aus.[2] Jüterbog wurde damit in eine Gemeinschaft magdeburgischer Rechtsstädte innerhalb des erzbischöflichen Territoriums aufgenommen. Nicht nur über das gemeinsame Stadtrecht, sondern auch mittels Handels- und Zollrechten sollten diese kommunalen Gemeinwesen miteinander verwoben werden. Mit dem so angedachten Städtenetz erweist sich Wichmann als ein bedeutender Akteur im Rahmen der Ausbreitung und Übertragung des Magdeburger Rechts.
Zeitgleich mit der Stadtgründung sollte die Christianisierung in der terra Jüterbog vorangetrieben werden. Erzbischof Wichmann weihte zu diesem Zweck die hiesige Marienkirche in Anwesenheit hoher Gäste wie dem Brandenburger Bischof Siegfried und Bischof Martin von Meißen. Neben ihnen nahmen ebenso Propst Günther von Gottesgnaden sowie eine Vielzahl weiterer geistlicher und adliger Herren an der Kirchenweihe teil. Wichmann sah in der Marienkirche ein wichtiges Instrument zur Hebung des Christentums und versprach allen, die bisher nach Jüterbog gekommen waren und denjenigen, die noch kommen würden, Schutz und Wohlwollen. Mit der Einweihung wurde der Kirche ein beträchtlicher Umfang an Besitz und Rechten übertragen. Denn sie bekam vier Filialkirchen mit den jeweiligen Zehntzahlungen, 50 Hufen in den Dörfern Dieke und Rothe sowie den Kirchenzehnt in Jüterbog selbst mit allen schon bestehenden und noch zu errichtenden Gotteshäusern. Erzbischof Wichmann übertrug die Marienkirche den Prämonstratensern des Stiftes Gottesgnaden, die damit einen großen Einfluss auf die geistlichen Verhältnisse in Jüterbog gewannen. Stadtgründung, christliche Mission und die Etablierung einer Pfarrorganisation sind hier klar erkennbare Bestandteile der mit der terra Jüterbog beabsichtigten Herrschaftsbildung des Magdeburger Erzbischofs im Fläming.
Abb: 2: Besitz des Erzbistums Magdeburg im Fläming im Gebiet um Jüterbog. Die Farben geben die Zeitspanne der Erwerbung an: 969–1192 (braun), 1193–1259 (orange), 1260–1345 (gelb), 1355–1496 (grün), ohne Zuordnung (grau).
Auf dieser Grundlage entwickelte sich das bürgerliche Gemeinwesen in Jüterbog, wobei die Stadt mit dem Magdeburger Recht zugleich die in der städtischen Verfassung verankerte Trennung von Ratsherren und Schöffen übernahm. Beide Institutionen befassten sich mit Fragen der Rechtsprechung. Eine genaue Abgrenzung ihrer dabei geltenden Zuständigkeiten waren nicht gegeben, so dass es darüber durchaus zu Auseinandersetzungen kam. Beispielsweise beriefen sich die Jüterboger Ratsherren 1367 darauf, dass Erzbischof Wichmann ihrer Stadt mit dem Magdeburger Recht zugleich Weiden übergeben habe, aus denen im Laufe der Zeit Äcker, Hopfengärten und Wiesen gemacht worden seien. Der Rat gab diese Nutzflächen üblicherweise an Bürger gegen Zins erblich aus. Der Stadtrichter Jüterbogs beanspruchte allerdings für sich die richterliche Zuständigkeit über diese Liegenschaften, worin der Jüterboger Rat eine Verletzung seiner Rechte sah. Er wandte sich deshalb hilfesuchend an die Magdeburger Schöffen und erbat von diesen ein Rechtsurteil. In ihrem Anschreiben hatten die Ratsherren ausführlich ihre Position dargelegt und bekräftigt, dass Grundstücksvergaben prinzipiell in ihrem Stadtbuch verzeichnet würden. Dieser Hinweis sollte die alleinige Zuständigkeit des Rates für die Liegenschaften untermauern. Zudem zeigt sich hier die Relevanz der durch ratsherrlich-notarielle Schriftlichkeit hergestellten Beweiskraft. Was in Stadtbüchern stand, galt demzufolge als Recht.[3] Die Magdeburger Schöffen folgten der Argumentation der Jüterboger Ratsherren und sprachen ihnen Recht zu. Wenn der Rat Eigner der Nutzflächen sei und die Grundstücksgeschäfte im Stadtbuch dokumentiere, dürfe der Stadtrichter mit den Schöffen nicht über jene Nutzflächen in seinem Gericht urteilen. Diese Kompetenz stehe allein den Ratsherren zu.[4] Dies sollte in besonderer Weise auch dann gelten, wenn ein Grundstückpächter ohne Erben starb. In diesem Fall war eine Rückführung der Liegenschaft an den Jüterboger Rat vorgesehen, der damit nach eigenem Ermessen verfahren durfte.
Abb. 3: Wappenstein der Magdeburger Schöffen, Sandstein, 1590.
Die Magdeburger Schöffen stützten mit ihrem Urteil die Rechte des Rates und lieferten Letzterem hierdurch die sehr wahrscheinlich von ihm erhoffte Legitimation im Konflikt mit Stadtrichter und Schöffen. Das Magdeburger Urteil allein reichte jedoch zur Durchsetzung der ratsherrlichen Ansprüche nicht aus. Wie die Magdeburger Schöffen selbst erklärten, war der durch die Jüterboger Ratsherren zu erbringende schriftliche Beweis seiner Rechte von entscheidender Bedeutung. Nicht zuletzt musste um die Durchsetzung verhandelt und gestritten werden. Dies verdeutlicht den in der Forschung vielfach betonen Charakter des Magdeburger Rechts als „Spruchrecht“, dem kein kodifizierter Gesetzestext zugrunde lag.[5] An seine Stelle traten andere schriftliche Belege wie Privilegien, Willküren oder ältere Rechtsurteile, die im Rahmen von Aushandlungen bei Bedarf zurate gezogen werden konnten. Kommunikation und Aushandlung waren demnach wichtige Prinzipien bei der Inanspruchnahme und Durchsetzung bürgerlicher Rechte.
Autor: Sascha Bütow
Anmerkungen:
[1] Sello, Georg: Kleine Beiträge zur Geschichte Erzbischof Wichmanns von Magdeburg, in: Geschichtsblätter für Stadt und Land Magdeburg 21 (1886), S. 253−271, Beilage S. 269–271, hier S. 270.
[2] Ebd.
[3] Zur rechtlichen Bedeutung von Stadtbüchern vgl. Speer, Christian: Stadtbücher im Magdeburger Rechtskreis. Die Anfänge neuer Formen pragmatischer Schriftlichkeit im 13. und 14. Jahrhundert, in: Kulturelle Vernetzung in Europa. Das Magdeburger Recht und seine Städte. Hrsg. v. Gabriele Köster, Christina Link u. Heiner Lück. Dresden 2018, S. 333–364.
[4] Goerlitz, Theodor: Die Rechtsweisung der Magdeburger Schöffen vom 13. Juni 1367 an den Rat von Jüterbog, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 65 (1947), S. 344–348. Edition des Rechtsspruchs, S. 347f.
[5] Carls, Wieland: Magdeburger Schöffensprüche für den Schöffenstuhl von Görlitz, in: Faszination Stadt. Die Urbanisierung Europas und das Magdeburger Recht. Katalog. Hrsg. v. Gabriele Köster u. Christina Link. Dresden 2019, S. 289f., hier S. 290.
Zitation:
Sascha Bütow: Jüterbog: eine erzbischöfliche Marktgründung im Rahmen eines raumgreifenden Landesausbaus, in: Das Magdeburger Recht. Baustein des modernen Europa, 21.05.2024, https://magdeburg-law.com/de/magdeburger-recht/historische-staedte/jueterbog/
Bildnachweis:
Abb. 1: Magdeburg, Kulturhistorisches Museum Magdeburg.
Abb. 2: ZMA, Autor: M. Scholz, Kartographie: G. Pápay.
Abb. 3: Magdeburg, Kulturhistorisches Museum Magdeburg.