Stargard In Karte lokalisieren

Eine Hansestadt, die das Magdeburger Recht gegen das Lübische eintauschte:

Das hinterpommersche Stargard, rund 30 km südöstlich von Stettin gelegen, gehörte im Spätmittelalter zu den wichtigen Handelsstandorten des Herzogtums Pommern. Die Geschichte der Stadt reicht bis in die erste Hälfte des 9. Jahrhunderts zurück, als von dem slawischen Stamm der Wenden, der im Zuge der Völkerwanderung in diese Gebiete zugewandert ist, an einer alten Handelsroute von Stettin über Belgard nach Kolberg, auf einer Insel auf dem Fluss Ihna ein Burgwall errichtet wurde. Am Fuße dieser Burg, die 1140 in einer Bulle Papst Innozenz‘ II. erstmals urkundlich erwähnt wurde, entwickelte sich eine Handwerkersiedlung, der bald weitere Vorburgsiedlungen folgten. Diese entstanden zunächst auf der Insel. Als dort allerdings im Laufe des 12. Jahrhunderts das Siedlungsgelände knapp wurde, wuchs am westlichen Ufer der Ihna ein weiteres Suburbium, das – direkt am Handelsweg gelegen – als Marktort fungierte. Damals war Stargard als Kastellanei ein Zentrum der landesherrlichen Gewalt und entwickelte sich im Laufe des 12. Jahrhunderts zum Mittelpunkt einer eigenen territorialen Einheit (provincia Stargardensis, erstmals 1185 urkundlich erwähnt).

Abb. 1: Der Alte Markt in Stargard mit Blick zur Marienkirche und dem Rathaus, angeschnitten links im Bild (Foto: Marek Fiedorowicz)

Seit dem ausgehenden 12. Jahrhundert ist auch die Präsenz des Johanniterordens in Stargard belegt. Dieser erhielt von den Herzögen Bogislaw I. und Bogislaw II. in den 1180er Jahren ein Haus in Stargard sowie zahlreiche Dörfer in dessen Umgebung. Die neue Ordensniederlassung, eine der ältesten in Pommern, lag auf einer Anhöhe am westlichen Ihnaufer, in der Nachbarschaft des Marktortes und des Burgwalls. Als Herzog Barnim I. den Johannitern 1229 das Privileg erteilte, auf ihren Besitzungen Fremde (hospites) anzusiedeln, machte der Orden rasch davon Gebrauch. Die einwandernden deutschen Siedler ließen sich unweit des Ordenshauses nieder und gründeten neben dem slawischen Marktort eine Siedlung, die sich aufgrund ihrer günstigen Lage am Handelsweg dynamisch entwickelte.

Im Jahr 1240 schloss Herzog Barnim I. überraschend einen Tauschvertrag mit Bischof Konrad III. von Cammin, mit dem er dem Bischof gegen den Zehnten von 1800 Hufen das Land Stargard überließ.[1] Bald darauf verstarb der Bischof allerdings und es ist umstritten, ob dieser geplante Tausch tatsächlich umgesetzt wurde. Urkundlich überliefert ist, dass Barnim I. das Land Stargard 1248 von Bischof Wilhelm als Lehen wieder zurückerhielt, wofür ihm der Herzog seinen Anteil am Land Kolberg abtrat.[2]

Abb. 2: Das Stargarder Rathaus (Foto: Wiesław Wieczorek)

In diese Zeit fällt die urkundlich für den 24. Juni 1243 überlieferte Bewidmung Stargards mit dem Magdeburger Stadtrecht.[3] Das Original der Lokationsurkunde wurde bei dem großen Stadtbrand von 1635 vernichtet; ihr Inhalt ist nur aus Abschriften bekannt und es herrscht Unstimmigkeit darüber, ob das darin angegebene Jahr 1243 richtig ist, da der Herzog damals offensichtlich gar nicht im Besitz des Stargarder Landes war, und ob die Stadtrechtsverleihung indessen nicht erst 1253 vollzogen wurde.[4]

Der Inhalt der Lokationsurkunde weckt hingegen keine Zweifel. Barnim I. schenkte der Stadt 150 Hufen, von denen er 30 Hufen zur Weide bestimmte, während die übrigen von den Stadtbürgern in Besitz genommen werden sollten. Von jeder Hufe hatte der jeweilige Besitzer jährlich drei Loth Silber an den Stadtherrn zu entrichten.[5] Des Weiteren hatten die Bürger dem Herzog die Stadt zu Verteidigungszwecken offenzuhalten. Die Stadt erhielt ferner Forst- und Fischereirechte innerhalb ihrer Grenzen sowie eine Erlaubnis zum Holzschlagen an der Ihna auf- und abwärts (auch in den Lehen der herzoglichen Vasallen). Außerdem verlieh Barnim I. Stargard freie Schifffahrt auf der ganzen Ihna ober- und unterhalb der Stadt bis zum Meer, Zollfreiheit in allen Städten seines Landes und das Magdeburger Stadtrecht.[6]

Abb. 3: Stargard, Blick zur Marienkirche von der Ihna (Foto: Marek Fiedorowicz)

Damit war eine wichtige Grundlage für die weitere wirtschaftliche Entwicklung der Stadt gelegt. Die günstige Lage in Küstennähe, an der Ihna, die ein Zufluss der Oder ist und somit direkten Zugang zum Meer bot, sollte für die zukünftige Geschichte der Stadt von größter Bedeutung sein. Ältere hinterpommersche Handelsstandorte wie Stettin und Kolberg, die bereits seit slawischer Zeit über weitreichende Handelskontakte verfügten, waren damals bereits auf den Seehandel ausgerichtet und knüpften immer engere Kontakte zu den weiter westlich gelegenen großen Küstenstädten Lübeck, Stralsund, Wismar, Rostock und Greifswald, schlossen mit ihnen Schutzbündnisse und handelten mit den Herrschern der Länder, mit denen sie Handel trieben, gemeinsame Privilegien und Freiheiten für ihre Kaufleute aus. Wie viele Fürsten unterstützen auch die pommerschen Herzöge diese Entwicklung, erließen Schutzbriefe für Kaufleute und förderten die Seehandel treibenden Städte mit entsprechenden Zollfreiheiten. Die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts war also in Pommern eine Zeit der intensiven Förderung der im Überseehandel tätigen Kaufleute und der dynamischen Entwicklung des wendischen Städtebundes, der zu einer eng zusammenarbeitenden Gruppe der sogenannten Seestädte und schließlich zur treibenden Kraft der deutschen Hanse wurde.

Abb. 4: Stargard, Marienkirche, Blick zum Chor (Foto: Marek Fiedorowicz)

Die Regelungen über die freie Nutzung der Ihna bis „zum Salzmeer“ verraten, dass es zum Gründungszeitpunkt auch in Stargard bereits Kaufleute gegeben haben muss, die am gewinnbringenden Seehandel interessiert waren. Es gibt aus der Zeit nach der Stadtrechtsverleihung zwar keine urkundlichen Hinweise auf engere Handelskontakte der Stadt zu den wendischen Seestädten, es sind jedoch personelle Verbindungen nachzuweisen: Unter den Stargarder Ratsherren sind in den 1270er und 1280er Jahren mehrere Vertreter von Familien zu finden, die auch in Hamburg, Lübeck, Stralsund bzw. Anklam ansässig waren. Ob diese zugleich aus Kaufmannsfamilien stammten, bleibt offen.

Nach der Verleihung des Stadtrechts kam es in Stargard offensichtlich zu einer Verlagerung der Siedlungsschwerpunkte: die Rechtstadt wurde im südwestlichen Vorgelände der alten Burg, am linken Ihnaufer, in direktem Anschluss an die alte Marksiedlung planmäßig auf einem regelmäßigen Grundriss angelegt.[7] Am Marktplatz der jungen Stadt wurde ein erstes Rathaus und vermutlich der Vorgänger der später in Backstein errichteten Pfarrkirche St. Marien erbaut. In den 1260er/70er Jahren ließen sich in der Stadt Augustiner-Eremitenmönche nieder, deren Kloster 1289–1291 erstmals urkundlich erwähnt wird.[8]

Aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts überlieferte Schriftquellen bezeugen, dass an der Spitze Stargards damals zwölf Ratsherren, ein Schultheiß und sieben Schöffen standen.[9] Die Stadt entwickelte sich zu einem städtischen Zentrum von regionaler Bedeutung. So wurde z. B. Stargards Schöffengericht 1278 bei der Verleihung des Magdeburgischen Stadtrechts an das benachbarte Massow zu dessen Berufungsgericht bestimmt.[10]

Die kriegerischen Auseinandersetzungen Barnims I. mit der Mark Brandenburg brachten immer wieder Einschnitte in der ansonsten günstigen Entwicklung Stargards. Kurz vor seinem Tode schloss der Herzog 1278 einen für Stargard folgenreichen Lehnsvertrag mit dem Markgrafen Konrad von Brandenburg, für dessen Erfüllung vier Städte, u. a. Stargard, unter Eid der Ratsherren die Bürgschaft übernahmen.[11] Sollte der Herzog den Verpflichtungen des Vertrages nicht nachkommen, so sollten sich die Städte dem Markgrafen unterwerfen. Als Barnim I. kurz darauf verstarb, übernahm sein ältester Sohn Bogislaw IV. die Herrschaft in Pommern, der zwar anfangs den Vertragsverpflichtungen nachkam, nach einigen Monaten jedoch begann, sich gegen die Erfüllung der Dienstpflicht aufzulehnen. Daraufhin kam es zum militärischen Konflikt mit Brandenburg. Durch den Eid verpflichtet unterwarf sich Stargard 1280 den Markgrafen und verlor damit für mehrere Jahre nicht nur die herzogliche Gunst, sondern auch die Möglichkeit einer Anbindung an die sich geschlossen gegen die Mark Brandenburg positionierenden Seestädte. Diese schlossen im Juni 1283 mit zahlreichen norddeutschen Landesfürsten ein Bündnis zur Aufrechterhaltung des Land- und Seefriedens – sogenannter Rostocker Landfrieden – der besonders gegen die Markgrafen von Brandenburg gerichtet war und zum Schutz der städtischen, besonders der lübischen Zollfreiheiten und anderer Privilegien beitragen sollte.[12] Das Bündnis wurde zu einer wichtigen Grundlage für den weiteren wirtschaftlichen Aufstieg der Seestädte; Stargard blieb davon zunächst ausgeschlossen.

Abb. 5: Die ehemalige Stargarder Johanniterkirche St. Johannis (Foto: Marek Fiedorowicz)

Einen Umbruch, der von größter Bedeutung für die weitere wirtschaftliche Entwicklung der Stadt sein sollte, brachte endlich die im September 1283 erfolgte Aussöhnung mit Herzog Bogislaw IV., der „seiner Stadt Stargard“ alle ihre bisherigen Freiheiten und Rechte, aber auch die Rechte, welche die Städte des Rostocker Landfriedens kürzlich erlangt hatten, bestätigte.[13] Außerdem schenkte der Herzog der Stadt eine Hofstelle und eine Hufe Land am Ausfluss der Ihna, an der später die Hafenstelle der Stadt angelegt wurde. Es scheint, dass damit ein wichtiger Wendepunkt in der Geschichte Stargards erfolgte. Die Stadt kam nun in den Genuss der Privilegien des Rostocker Schutzbündnisses und trat gleichgestellt in die Reihen der anderen civitas confoederatae ein. Infolgedessen sollte sie bereits in naher Zukunft auch von weiteren Vorzügen dieses Bündnisses, u. a. dem Schutz des Königs von Dänemark und Handelsfreiheiten in seinem Reich, profitieren. Das Jahr 1283 kann damit als Zeitpunkt des Eintritts Stargards in den Kreis der wendischen Städtegemeinschaft, die in den Folgejahrzehnten zum Grundstock der deutschen Hanse werden sollte, angesehen werden. Mit dem Bau eines Hafens an der Ihna richtete sich Stargard nun erkennbar auf den Seehandel aus. Bogislaw IV. förderte die Stadt weiterhin: 1285 verlieh er ihr seinen dortigen Zoll mit der Vergünstigung, dass jeder, der in Stargard den Zoll entrichtete, an allen übrigen Zollstellen freien Durchzug bis zum Meer haben sollte. Außerdem erhielt die Stadt weitere Landschenkungen und Privilegien, beispielsweise wurde ihr 1289 ein Zollkrug an der Ihna verliehen.[14]

Diese Ausrichtung auf Fernhandel und die Kontakte zu Kaufleuten aus anderen norddeutschen Handelsstädten brachten sicherlich den Wunsch mit sich, engere Bindungen mit den wendischen Seestädten einzugehen. Diese bildeten eine eng zusammenarbeitende Gruppe, die gemeinsame politische und wirtschaftliche Interessen vertrat. Fast alle diese Städte hatten jedoch im Gegensatz zu Stargard bei ihrer Gründung lübisches Recht verliehen bekommen und trafen sich regelmäßig zu Rechtstagen. Wie Carsten Jahnke überzeugend darstellte, brachte diese Rechtsgleichheit den Küstenstädten zahlreiche wirtschaftliche Vorteile: „Kaufleute aus einer Stadt lübischen Rechts konnten frei und unter gleichen Bedingungen auch in allen anderen Städten dieses Rechts handeln. Damit entwickelten sich Städte gleichen Rechts auch zu eigenen Wirtschaftsräumen.“[15] Es wundert daher nicht, dass auch die Stargarder diese Vorteile erkannten und sich der Wirtschaftsgemeinschaft anschließen wollten. Vermutlich auf Betreiben des Stadtrates, laut Angabe in der Verleihungsurkunde allerdings „auf Anraten unserer getreuer Vasallen“ bewilligten die Herzöge Bogislaw IV., Barnim II. und Otto I. der Stadt Stargard am 21. Oktober 1292 anstelle des bisherigen Magdeburgischen Stadtrechts das lübische Recht „in vollem Umfange“[16], womit Stargard nun auch in den Kreis der rechtgleichen Seestädte eintrat und von den damit verbundenen Handelserleichterungen profitieren konnte. Interessant ist, dass, wie in der herzoglichen Urkunde gezielt betont wird, diese Rechtsumsetzung in Anerkennung der mehrfachen, von der Stadt den Landesherren geleisteten guten Dienste erfolgte und demnach als eine Art Dank und Belohnung verstanden wurde. Das Innungsrecht und alle zuvor verliehenen Privilegien wurden der Stadt bestätigt. Zur Berufungsinstanz in schwierigen Rechtsfällen wurde Anklam bestimmt. Damit endete 1292 in der Stargarder Geschichte das Kapitel des Magdeburger Stadtrechts, das nun „ganz abgeschafft“ werden sollte.

Abb. 6: Der Innenraum der Stargarder Johanniskirche nach Osten (Foto: Marek Fiedorowicz)

Interessanterweise war Stargard nicht die einzige hinterpommersche Stadt, die sich zu diesem Zeitpunkt für diesen Weg entschied. Bereits in den 1280er Jahren hatten mehrere kleinere Städte der Region, denen bei der Lokation ebenfalls das Magdeburger Recht verliehen worden war, eine Rechtsänderung erbeten, so u. a. Damm, Greifenhagen und Massow.[17] Es zeigt sich aber, dass es ausschließlich die kleineren Handelsstandorte waren, die sich in der Hoffnung, mit diesem Schritt günstigere Bedingungen für ihre Kaufleute zu schaffen und damit den wirtschaftlichen Aufschwung herbeizuführen, für das lübische Recht entschieden. Das große, wirtschaftlich starke und im wendischen Städtebund fest verankerte Stettin blieb dem Magdeburger Recht hingegen treu.

Wie die Zukunft zeigen sollte, war diese Rechtsumsetzung im Fall von Stargard tatsächlich eine sehr gute Entscheidung. Die überlieferten Schriftquellen aus den ersten Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts bezeugen, dass es daraufhin zu einer engeren Zusammenarbeit Stargards mit den großen pommerschen Seestädten und zu einem wirtschaftlichen Aufschwung kam. Dieser Wandel von einer Stadt mit regionaler Bedeutung zur mittelgroßen, Fernhandel treibenden, im Netzwerk der wendischen Kaufleute verankerten Seestadt machte sich auch im Stadtbild Stargards bemerkbar.

Abb. 7: Eins der zahlreichen Stargarder Stadttore: das Pyritzer Tor (Foto: Wiesław Wieczorek)

1295 erlaubte Herzog Bogislaw IV. den Stadtbürgern, die herzogliche Burg zu schleifen und überließ deren Gelände der Stadt. Er gestattete ihr darüber hinaus den Bau von Befestigungsanlagen. Das Stadtgebiet wurde  nun mit einem Ring wehrhafter Stadtmauern umgeben und die Stadt setzte Akzente, die ihren wirtschaftlichen Aufstieg manifestierten. Am Marktplatz wurde der Bau der neuen Marienkirche – einer stattlichen Backsteinhalle mit monumentaler Doppelturmfront – in Angriff genommen. Auch die Augustiner-Eremitenmönche begannen wohl Ende des 13. Jahrhunderts mit dem Bau ihrer Klosterkirche – eines dreischiffigen, turmlosen Backsteinbaus, dessen Chor 1311 geweiht werden konnte. In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts wurden in der Stadt zudem drei Hospitäler mit dazugehörigen Spitalkapellen gegründet: das 1356 erstmals urkundlich genannte St. Georgs-Hospital, das anders als üblicherweise hier statt der Aufnahme von Kranken eher der Armenpflege diente, das 1357 erstmalig erwähnte Elendspital für fremde Kranke, hauptsächlich Pestkranke, und das Heilig-Geist-Spital (erstmals 1360 urkundlich genannt).

Im Mai 1354 schloss Stargard ein Schutz- und Landfriedensbündnis gegen Straßenräuber, Mörder und Piraten mit den Städten Greifenberg und Treptow a. d. Rega sowie zahlreichen Adeligen auf sechs Jahre.[18] Dies veranschaulicht die damalige Position Stargards unter den pommerschen Handelsstädten. Im Gegensatz zu Stettin, dessen Kaufleute Großhandel betrieben und gemeinsam mit ihren Kollegen aus den großen wendischen Städten auf fernen Märkten des Ost- und Nordseeraums verkehrten, gehörte Stargard damals zur „mittleren Klasse“ der Handelsstädte, die im überschaubaren Umkreis – etwa bis Lübeck und auf den Schonischen Messen in Dänemark – Handel trieben. Dementsprechend schloss sich die Stadt mit ihr ebenbürtigen Handelszentren zusammen. In den Schutzbündnissen der großen Seestädte und bei deren Zusammenkünften taucht Stargard damals namentlich nicht auf. Dies ist damit zu erklären, dass die Stadt nicht zu den sogenannten Quartier- bzw. Vorderstädten, d. h. den großen und starken Seestädten gehörte, sondern – ebenso wie Greifenberg und Treptow – eine der sogenannten Hinterstädte war, die zwar auch vom hansischen Netzwerk profitierten, ihre Interessen bei den Zusammentreffen der hansischen Ratssendeboten, den Hansetagen, jedoch von den Vorderstädten vertreten ließen. Im Fall von Stargard waren dies Stettin bzw. Anklam.

Abb. 8: Ein Stargarder Kuriosum: das Mühlentor über der Ihna (Foto: Wiesław Wieczorek)

Erst im Zuge der beiden Kriege, die die Hansestädte in den Jahren 1361–1370 gegen den dänischen König Waldemar IV. Atterdag führten und an denen sich Stargard als einzige hinterpommersche Hinterstadt sowohl finanziell als auch militärisch aktiv beteiligte, trat die Stadt aus dem Schatten Stettins hervor und nahm seitdem regelmäßig mit eigenen Vertretern an den Hansetagen teil. Mit dem Sieg über Dänemark, der mit dem Friedensvertrag von Stralsund im Mai 1370 besiegelt wurde, begann für Stargard eine Zeit der wirtschaftlichen Blüte, welche im Stadtbild mit dem Neubau des imposanten Umgangschores der Marienkirche und dem Rathausumbau sichtbare Spuren hinterließ.

Dieser unverhoffte wirtschaftliche Aufstieg Stargards missfiel dem nahegelegenen Stettin, das bisher als bedeutendste Hansestadt Hinterpommerns das Handelsmonopol in der Region innehatte und insbesondere den Getreidehandel kontrollierte. Die wachsende Konkurrenz zwischen den beiden Städten kulminierte schließlich in den Jahren 1454–1464 in einem militärisch ausgetragenen Wirtschaftskrieg, der schließlich nach Vermittlung der wendischen Hansestädte mit einem Friedensschluss im November 1464 endete, in dem Stargard eine Reihe wirtschaftlicher Eingeständnisse machen musste.[19] In der Folgezeit gelang es Stargard nie mehr, seine alte wirtschaftliche Position zurückzuerlangen. Die veränderte politische Situation im wiedervereinten Herzogtum Pommern nach 1464, die auf eine Festigung der herzoglichen Macht ausgerichtete Wirtschaftspolitik Boguslaws X., die Verheerungen des Dreißigjährigen Krieges, der voranschreitende Niedergang der Hanse und letztendlich das Jahr 1945, das der Stadt schwerste materielle und menschliche Verluste zufügte, brachten tiefe Einschnitte und ließen Stargard in den Rang einer zweitrangigen Provinzstadt hinabgleiten.

Autorin: Agnieszka Lindenhayn-Fiedorowicz

Anmerkungen:

[1] Urkunde vom 24. April 1240 in: PUB 1,1, Nr. 377, S. 304.

[2] Urkunde vom 7. Oktober 1248 in: PUB 1,1, Nr. 475, S. 367.

[3] Codex Pomeraniae vicinarumque terrarum diplomaticus, T. 1 (bis 1269), hrsg. v. Friedrich von Dreger, Berlin 1768, Nr. CLVII, S. 240–242.

[4] Über das fehlerhafte Datum siehe u. a.: Codex Pomeraniae diplomaticus oder Sammlung der die Geschichte Pommerns und Rügens betreffenden Urkunden, hrsg. v. Karl Friedrich Wilhelm Hasselbach, Johann Gottfried Ludwig und Friedrich Ludwig von Medem, Greifswald 1862, Bd. 1, S. 1014; PUB 1,1, Nr. 572, S. 448. – Kürzlich äußerte sich Edward Rymar ausführlich zur Datierung der Stargarder Stadtrechtsverleihung und sprach sich letztlich für das Jahr 1243 aus. Vgl. Edward Rymar: Fragmenty dziejów Stargardu nad Iną do 1253 roku, in: Stargardia. Rocznik Muzeum Archeologiczno-Historycznego w Stargardzie, Bd. 7, Stargard 2013, S. 97–111, hier S. 101–109.

[5] Diese Abgabe konnte nach Ablauf von zwei Freijahren bei wachsendem Wohlstand der Stadt bis auf 40 Mark Brandenburgisch Silbers im Ganzen erhöht werden. Vgl. Gustav Kratz u. Robert Klempin: Die Städte der Provinz Pommern. Abriss ihrer Geschichte, zumeist nach Urkunden, Berlin 1865, S. 357.

[6] Possidebitur etiam civitas memorata secundum eam jurisdictionem, que in Magdeborgh est. Wie Anm. 3, Nr. CLVII, S. 240.

[7] Die ältesten archäologischen Siedlungsfunde im Bereich des Marktplatzes und dessen direkter Umgebung lassen sich in die Mitte des 13. Jahrhunderts datieren, woraus geschlossen werden kann, dass die Lokationsstadt offensichtlich in einem zuvor ungenutzten Gelände angelegt wurde. Vgl. Karol Kwiatkowski: Źródła archeologiczne, in: Karol Kwiatkowski (Hg.): Archeologia Stargardu, Bd. 1: Badania zachodniej części kwartału V, Stargard 2012, S. 33–40 sowie Marcin Majewski u. Monika Ogiewa-Sejnota: Rynek Staromiejski w świetle źródeł archeologicznych i historycznych, in: Marcin Majewski u. Karolina Stań (Hg.): Archeologia Stargardu, Bd. 3: Badania na Rynku Staromiejskim, Stargard 2017, S. 311–347, hier S. 312.

[8] PUB 3,1, Nr. 1522, S. 87–88.

[9] Felix Boehmer: Geschichte der Stadt Stargard in Pommern. Bd. 1: Geschichte der Stadt im Mittelalter. Stargard i. P. 1903, S. 37–38.

[10] PUB 2,1, S. 369, Nr. 1093.

[11] Urkunde vom 1. Juni 1278 in: PUB 2,1, Nr. 1096, S. 371.

[12] Urkunde vom 13. Juni 1283 in: HUB I, Nr. 917.

[13] Urkunde vom 1. September 1283 in: HUB 1, Nr. 927.

[14] Kratz/Klempin wie Anm. 5, S. 359.

[15] Carsten Jahnke: Die Hanse, Stuttgart 2014, S. 47.

[16] Christian Schöttgen u. Georg Christoph Kreysig: Diplomataria Et Scriptores Historiae Germanicae Medii Aevi, T.3, Altenburg 1760, S. 15, Nr. 24. Ebenso HUB 1, Nr. 1104.

[17] Vgl. u. a. Boehmer wie Anm. 9, S. 53–53.

[18] Urkunde vom 1354 Mai 9 in: HUB 3, Nr. 293.

[19] Radosław Gaziński: Wojna Szczecina ze Stargardem o handel morski (1454–1464), in: Materiały Zachodniopomorskie, 39 (1993), S. 199–216, hier S. 211.

Abkürzungen:

HUB 1 = Hansisches Urkundenbuch, Bd. 1: 975–1300, hrsg. v. Konstantin Höhlbaum, Halle 1876.
HUB 3 = Hansisches Urkundenbuch, Bd. 3: 1343–1360, hrsg. v. Konstantin Höhlbaum, Halle/Saale 1882–1886.
PUB 1,1 = Pommersches Urkundenbuch, Bd. 1, Abt. 1, bearb. und hrsg. v. Robert Klempin, Stettin 1868.
PUB 2,1 = Pommersches Urkundenbuch, Bd. 2, Abt. 1, bearb. und hrsg. v. Rodgero Prümers, Stettin 1881.
PUB 3,1 = Pommersches Urkundenbuch, Bd. 3, Abt. 1, bearb. und hrsg. v. Rodgero Prümers, Stettin 1888.

 

Weiterführende Literatur:

Ryszard Rogosz: Początki Stargardu w świetle dotychczasowych wyników badań archeologicznych, in: Materiały Zachodniopomorskie, Bd. 19, Szczecin 1973, S. 215–270. (Ausführlich zur frühesten Siedlungsgeschichte Stargards im Licht archäologischer Quellen)

Agnieszka Lindenhayn-Fiedorowicz: Johannitisches Patronat und städtische Architektur. Die Marienkirche zu Stargard (Stargard Szczeciński) in Pommern, in: Christian Gahlbeck, Heinz-Dieter Heinemann u. Dirk Schumann (Hg.): Regionalität und Transfergeschichte. Ritterordenskommenden der Templer und Johanniter im nordöstlichen Deutschland und in Polen, Berlin 2014, S. 248–270. (Zur Geschichte der Stargarder Johanniterniederlassung)

Zitation:

Agnieszka Lindenhayn-Fiedorowicz: Stargard an der Ihna. Eine Hansestadt, die das Magdeburger Recht gegen das Lübische eintauschte, in: Das Magdeburger Recht. Baustein des modernen Europa, 28.01.2021, https://magdeburg-law.com/de/magdeburger-recht/historische-staedte/stargard-szczecinski-stargard-pommern/

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